Das Herz ihrer Tochter
fragte Smythe und sah sich um. »Wo kam das her?«
Plötzlich drang Gezwitscher aus Joeys
Zelle, und dann ein höheres Piepsen aus der von Pogie. Zu meiner Verblüffung
hörte ich sogar ein Trillern irgendwo in der Nähe meines Bettes. Ich fuhr herum
und machte die Lüftungsschlitze als Quelle aus. Steckte da ein ganzer Schwarm
Rotkehlchen drin? Oder war das Shay, der nicht nur zaubern, sondern auch
Vogelstimmen imitieren konnte?
Smythe versuchte, dem Lärm auf den Grund
zu gehen, spähte hinauf zu den Dachluken und sah in der Duschzelle nach.
»Smythe?«, sagte ein Aufseher über die
Lautsprecheranlage. »Was zum Teufel ist da los?«
Im Knast nutzt einfach alles ab, und
Toleranz bildet da keine Ausnahme. Du lernst nicht, etwas zu mögen, was du
verabscheust; du lebst nur damit. Deshalb fügen wir uns, wenn wir aufgefordert
werden, uns nackt auszuziehen; deshalb lassen wir uns dazu herab, mit einem
Kinderschänder Schach zu spielen; deshalb hören wir auf, uns in den Schlaf zu
weinen. Du lebst und läßt leben, und irgendwann genügt dir das.
Vielleicht ist das die Erklärung dafür,
warum Calloway schließlich doch einen muskelbepackten Arm durch die offene
Klappe seiner Tür schob. Alma blinzelte überrascht.
»Ich tu Ihnen nicht weh«, murmelte sie,
während sie die neue Haut inspizierte, die an den transplantierten Stellen
wuchs, noch rosa und frisch. Sie zog ein Paar Latexhandschuhe aus ihrer Tasche
und streifte sie über, wodurch ihre Hände genauso lilienweiß aussahen wie die
von Calloway. Und ob Sie's glauben oder nicht - in dem Moment, als Alma ihn
berührte, erstarb der ganze verrückte Lärm.
MICHAEL
Ein Priester muss jeden Tag die Messe
lesen, auch wenn keiner kommt, obwohl das selten der Fall war. In einer Stadt
wie Concord fanden sich immer eine Handvoll Leute ein, die schon fleißig den
Rosenkranz beteten, wenn ich im Meßgewand aus der Sakristei kam.
Ich war gerade bei dem Teil der Messe, an
dem Wunder geschehen. »Denn dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird«,
sagte ich laut, kniete mich hin und hielt die Hostie hoch.
Neben der Frage »Wie zum Kuckuck kann ein
einzelner Gott auch eine Heilige Dreifaltigkeit sein?« wollen Nichtkatholiken
von mir als Priester am häufigsten wissen, was es mit der heiligen Wandlung auf
sich hat: dem Glauben, dass während der Eucharistie Brot und Wein in Christi
Leib und Blut verwandelt werden. Ich konnte nachvollziehen, warum die Leute das
irritierte - wenn das wirklich passierte, war die heilige Kommunion dann kein
kannibalistischer Akt? Und wenn da wirklich eine Wandlung geschah, wieso war nichts
davon zu sehen?
Wenn ich als Kind in die Kirche ging,
lange bevor ich wieder zu ihr zurückkehrte, empfing ich die heilige Kommunion
wie alle anderen auch, aber ich dachte nicht großartig darüber nach. Was der
Priester da weihte, sah für mich aus wie ein Kräcker und ein Becher Wein,
vorher wie nachher. Und ich muss sagen, es sieht auch heute noch für mich aus
wie ein Kräcker und ein Becher Wein. Das Wunderbare dabei ist die Philosophie.
Wenn ich in der Messe die Hostie und den Wein weihte, veränderten sich die
Elemente in ihrer Substanz, die Eigenschaften - Form, Geschmack, Größe -
blieben unverändert. Genau wie Johannes der Täufer einen Mann sah und auf
Anhieb wusste, dass er Gott vor sich hatte, genau wie die Weisen in einem
Säugling unseren Erlöser erkannten ... so hielt ich Tag für Tag etwas hoch, das
aussah wie Kräcker und Wein, aber in Wahrheit Jesus war.
Genau deshalb hielt ich von diesem Moment
der Messe an Finger und Daumen fest zusammengedrückt, bis ich mir nach der
Eucharistie die Hände wusch. Nicht das kleinste Krümelchen der geweihten Hostie
durfte verloren gehen; auch wenn wir die Überbleibsel der Kommunion wegräumten,
achteten wir darauf peinlich genau. Doch als mir dieser Gedanke gerade durch
den Kopf ging, rutschte mir die Oblate aus der Hand.
Ich fühlte mich wie damals in der dritten
Klasse, beim Finale der Baseballschulmeisterschaft, als ich einen hohen Ball zu
schnell auf meine Ecke im linken Feld zufliegen sah - völlig verkrampft, weil
ich ihn unbedingt fangen musste, flau im Magen, weil ich wusste, dass ich es
nicht schaffen würde. Wie erstarrt sah ich die Hostie fallen und im Weinkelch
landen.
»Glück gehabt«, dachte ich und fischte
die Hostie kurzerhand aus dem Kelch.
Dennoch durchtränkte der Wein sie immer
weiter. Erstaunt sah ich, wie eine Kinnpartie Gestalt annahm, dann ein Ohr,
eine
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