Das Herz ihrer Tochter
wußten, wie selten Kinderspender waren. Ciaire rutschte tiefer ins
Bett, die Decke bis an die Nase hochgezogen. »Wenn ich sterbe«, sagte Ciaire,
»meinst du, ich werde dann eine Heilige?«
»Du wirst nicht sterben.«
»Doch, werde ich. Und du auch. Ich sterbe
vielleicht nur ein bisschen früher.«
Ich konnte nichts dagegen tun. Ich
spürte, dass mir Tränen in die Augen traten. Ich wischte sie mit der
Krankenhausbettdecke ab. Ciaire griff in mein Haar und ballte die Faust, so wie
früher immer, als sie noch klein war. »Ich wette, das würde mir gefallen«,
sagte Ciaire. »Eine Heilige zu sein.«
Ciaire hatte ständig die Nase in einem
Buch, und in letzter Zeit hatte sich ihre Begeisterung für Johanna von Orleans
auf Märtyrer aller Art ausgedehnt.
»Du wirst keine Heilige.«
»Kannst du doch gar nicht wissen«, sagte
Ciaire.
»Du bist nicht katholisch. Und außerdem,
die sind alle einen schrecklichen Tod gestorben.«
»Stimmt nicht. Wenn du stirbst, während
du gerade gut bist, zählt das auch. Die heilige Maria Goretti war so alt wie
ich, als sie gestorben ist. Sie hat sich gegen einen Typen gewehrt, der sie vergewaltigen
wollte, und die ist auch eine geworden.«
»Das ist grauenhaft.«
»Der heiligen Barbara haben sie die
Augäpfel rausgeschnitten. Und wußtest du, dass Herzpatienten einen
Schutzheiligen haben? Johannes von Gott?«
»Die Frage ist, woher du überhaupt weißt,
dass Herzpatienten einen Schutzheiligen haben.«
»Na«, sagte Ciaire. »Weil ich's gelesen hab. Mehr erlaubst du
mir ja nicht.« Sie lehnte sich gegen die Kissen. »Ich wette, eine Heilige darf
Softball spielen.«
»Genau wie ein Mädchen mit einem
Spenderherz.«
Aber Ciaire hörte nicht zu; sie wusste,
dass Hoffnung nur Schall und Rauch war, das hatte ich ihr vorgelebt. Sie schaute
auf die Uhr. »Ich glaub, ich werde eine Heilige«, sagte sie, als läge die
Entscheidung allein bei ihr. »Dann vergißt dich keiner, wenn du nicht mehr da
bist.«
Die Beisetzung eines Polizeibeamten ist
beeindruckend. Polizisten und Feuerwehrleute und Vertreter des öffentlichen
Lebens reisen aus jedem Ort im Bundesstaat und teils von noch weiter entfernt
an. Eine Prozession von Streifenwagen fährt vor dem Leichenwagen her und
bedeckt den Highway wie Schnee.
Es dauerte lange, bis ich mich wieder an
Kurts Beisetzung erinnerte, weil ich mir damals die größte Mühe gab, mir einzureden,
es wäre alles nicht wahr. Der Polizeichef, Irv, fuhr mit mir zum Friedhof. Die
Straßen von Lynley waren von Menschen gesäumt. Manche hielten Schilder hoch,
mit Aufschriften wie SCHÜTZEN
UND DIENEN oder EIN WAHRER HELD. Es
war Sommer, und an der Stelle, wo ich stand, sank ich mit den Absätzen im
Asphalt ein. Ich war umringt von Polizisten, die mit Kurt zusammengearbeitet
hatten, und zahllosen anderen, die nicht seine direkten Kollegen gewesen waren,
ein Meer aus Uniformblau. Der Rücken tat mir weh, und ich hatte geschwollene
Füße. Ich merkte, dass ich mich auf einen Fliederbaum konzentrierte, der im
leichten Wind zitterte und einen Blütenschauer abwarf, wie Regen.
Der Polizeichef hatte einundzwanzig
Salutschüsse angeordnet, und als sie verklungen waren, tauchten fünf
Düsenjäger über den violetten Bergen in der Ferne auf. Sie durchschnitten den
Himmel in parallelen Linien, und dann, genau über uns, knickte das Flugzeug
rechts außen ab wie ein Splitter und flog nach Osten.
Als der Priester zum Ende kam - ich hörte
gar nicht hin; was konnte er mir über Kurt erzählen, was ich nicht schon
wusste? -, traten Robbie und Vic vor. Sie waren Kurts beste Freunde im
Department. Wie die übrigen Kollegen von Lynley hatten sie ihre Dienstmarken
mit einem schwarzen Stück Stoff bedeckt. Sie griffen nach der Flagge, die Kurts
Sarg bedeckte, und falteten sie zusammen. Ihre behandschuhten Hände bewegten
sich so schnell - ich musste an Mickeymaus denken, an Donald Duck, mit ihren
übergroßen weißen Fäusten. Robbie legte das Dreieck in meine Arme, etwas zum
Festhalten, etwas, das Kurts Platz einnahm.
Aus den Funkgeräten der anderen
Polizisten ertönte die Stimme des Kollegen in der Zentrale: Durchsage an alle Einheiten.
Letzter Befehl an Officer Kurt Nealon,
Nummer 144.
144, zum letzten Einsatz an der West Main Road, 360 melden.
Das war die Adresse vom Friedhof.
Sie werden in den besten Händen sein. Sie
werden uns sehr fehlen.
144, 10 -y. Der Funkcode für Schichtende.
Man hat mir hinterher erzählt, dass ich
zu Kurts Sarg ging. Er war auf
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