Das Herz ihrer Tochter
Hochglanz poliert, und ich konnte mein
Spiegelbild darin sehen, verkniffen und fremd. Es war eine Sonderanfertigung,
breiter als normal, damit auch Platz für Elizabeth war.
Sie hatte mit ihren sieben Jahren noch
immer Angst vor der Dunkelheit gehabt. Kurt legte sich oft zu ihr, ein Elefant
zwischen rosa Kissen und weichen Decken, bis sie einschlief. Dann schlich er
aus dem Zimmer und knipste das Licht aus. Manchmal wurde sie mitten in der
Nacht schreiend wach. Ihr
habt das Licht ausgemacht, schluchzte
sie an meiner Schulter, als hätte ich ihr das Herz gebrochen.
Beim Bestattungsunternehmer hatte ich sie
noch einmal sehen können. Kurts Arme waren fest um meine Tochter geschlungen;
Elizabeth' Kopf ruhte auf seiner Brust. Sie sahen genauso aus wie manchmal
abends, wenn Kurt eingeschlafen war, während er darauf wartete, dass Elizabeth
dasselbe tat. Sie sahen so aus, wie ich gern ausgesehen hätte: glatt und klar
und friedlich, ein Teich, in den noch kein Stein geworfen worden war. Es sollte
ein Trost für mich sein, dass sie zusammen sein würden. Es sollte mich damit
versöhnen, dass ich nicht mit ihnen gehen konnte.
»Pass auf sie auf«, flüsterte ich Kurt
zu, und mein Atem hauchte einen Kuß gegen das schimmernde Holz. »Pass auf mein
Baby auf.«
Als hätte ich sie angesprochen, bewegte
Ciaire sich in mir: ein kleines Flattern von Schmetterlingsflügeln, eine
Erinnerung daran, warum ich noch dableiben musste.
Es gab mal eine Zeit, da betete ich zu
Heiligen. Mir gefiel, dass sie klein angefangen hatten. Sie waren einmal ganz
normale Menschen gewesen, deshalb verstanden sie einen besser, als Jesus das
je könnte. Sie wußten, was es hieß, wenn Hoffnungen zerschlagen wurden oder
Versprechen gebrochen oder Gefühle verletzt. Die heilige Theresa gefiel mir am
besten - sie glaubte, dass auch ganz gewöhnliche Menschen durch die große Liebe
erhöht werden konnten. Aber das alles war lange her. Das Leben winkt manchmal
mit dem Zaunpfahl, um uns darauf hinzuweisen, dass wir die falschen Dinge im
Blick haben, nicht wahr? Als ich mir allmählich eingestand, dass ich lieber tot
wäre, wurde mir ein Kind geschenkt, das ums Überleben kämpfen musste.
Im vergangenen Monat waren Claires
Herzrhythmusstörungen schlimmer geworden. Ihr AICD ging sechsmal am Tag los.
Wenn das Ding seinen Impuls abschoß, so war mir erklärt worden, fühlte es sich
an wie ein Stromstoß durch den Körper. Es brachte das Herz wieder in Gang, aber
es tat höllisch weh. Einmal im Monat war schwer zu ertragen, einmal pro Tag
war furchtbar. Ciaire durchlitt es sechsmal pro Tag.
Für Erwachsene, die mit einem AICD leben
mussten, gab es Selbsthilfegruppen. Es kursierten Geschichten über Betroffene,
die gesagt haben sollten, sie würden lieber an einer Arrhythmie sterben, als
mit Sicherheit zu wissen, dass das Gerät ihnen früher oder später einen
Stromschlag verpaßte. Letzte Woche hatte Ciaire im Guinnessbuch gelesen, als
ich in ihr Zimmer kam. »Roy Sullivan wurde im Laufe von sechsunddreißig Jahren
siebenmal vom Blitz getroffen«, sagte sie. »Schließlich hat er sich
umgebracht.« Sie hob ihr T-Shirt hoch und blickte auf die Narbe an ihrer Brust.
»Mom«, sagte sie flehend, »bitte sag ihnen, sie sollen das ausstellen.«
Ich wusste nicht, wie lange ich Ciaire
noch würde überreden können, bei mir zu bleiben, wenn das ihre einzige
Möglichkeit war.
Ciaire und ich blickten beide zur Tür,
als sie aufging. Wir hatten mit der Krankenschwester gerechnet, aber es war
Dr. Wu. Er setzte sich auf die Bettkante und sprach direkt mit Ciaire, als wäre
sie in meinem Alter und nicht erst elf. »Mit dem Herzen, das wir für dich
vorgesehen hatten, war etwas nicht in Ordnung. Das wurde erst bei der
Operation festgestellt... die rechte Herzkammer ist erweitert. Wenn es jetzt
nicht richtig funktioniert, wird das nach der Transplantation nur noch
schlimmer werden.«
»Dann ... kann ich es
nicht haben?«, fragte Ciaire. »Nein. Wenn ich dir ein neues Herz gebe, dann
soll es so gesund wie möglich sein«, erklärte der Doktor.
Mein Körper fühlte sich stocksteif an.
»Ich - ich versteh nicht.«
Dr. Wu wandte sich an mich. »Es tut mir
leid, June. Heute ist nicht der große Tag.«
»Aber es könnte Jahre dauern, einen neuen
Spender zu finden«, sagte ich. Ich sprach den Rest des Satzes nicht aus, weil
ich wusste, dass Wu ihn trotzdem hören konnte: So lange hält Ciaire nicht mehr durch.
Nachdem er gegangen war, saßen wir eine
Weile schweigend
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