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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Zweifel zu kämpfen.
     
    JUNE
     
    Es heißt, Gott bürdet uns nicht mehr auf,
als wir tragen können, aber daraus ergibt sich eine entscheidendere Frage:
Wieso läßt er uns überhaupt leiden?
    »Kein Kommentar«, sagte ich ins Telefon
und knallte den Hörer so laut auf, dass Ciaire - die mit ihrem iPod auf der
Couch lag - hochschreckte. Ich griff unter den Tisch und riss den Stecker aus
der Dose, damit ich das Telefon nicht mehr klingeln hören musste.
    Sie riefen schon den ganzen Morgen an;
sie belagerten mein Haus. Wie
ist das für Sie, dass vor dem Gefängnis Leute gegen die Hinrichtung des Mannes protestieren,
der Ihr Kind und Ihren Mann ermordet hat?
    Denken Sie, Shay Bourne bietet sich als
Organspender an, um seine Tat wiedergutzumachen?
    Was ich dachte war: Shay Bourne kann tun
oder sagen, was er will, Elizabeth und Kurt kann er mir nicht wiedergeben. Ich
wusste aus erster Hand, wie gut er lügen und was daraus werden konnte - das
Ganze war doch bloß eine Publicitymasche, um Mitgefühl bei den Leuten zu
erregen, und wer konnte sich denn nach zehn Jahren noch daran erinnern, wie
sich das Mitgefühl mit dem Polizisten und dem kleinen Mädchen angefühlt hatte?
    Ich.
    Manche sagen, die Todesstrafe sei
untragbar, weil es so lange dauert, bis jemand hingerichtet wird. Weil es
unmenschlich sei, elf Jahre oder länger auf den Tod warten zu müssen. Dass er
für Elizabeth und Kurt wenigstens schnell kam.
    Ich will Ihnen sagen, was an dieser
Argumentation nicht stimmt: Sie unterstellt, dass Elizabeth und Kurt die
einzigen Opfer waren. Sie läßt mich außen vor, sie läßt Ciaire außen vor. Und
ich schwöre Ihnen, dass in den letzten elf Jahren kein Tag vergangen ist, an
dem ich nicht daran gedacht habe, was Shay Bourne mir genommen hat. Ich habe
auf seinen Tod genauso lange gewartet wie er.
    Ich hörte Stimmen aus dem Wohnzimmer und
drehte mich um: Ciaire hatte den Fernseher eingeschaltet. Ein körniges Foto von
Shay Bourne füllte den Bildschirm. Es war das gleiche Foto wie in den
Zeitungen, die ich sofort weggeworfen hatte, damit Ciaire es nicht sah. Bournes
Haar war jetzt ganz kurz geschnitten, und er hatte kleine Fältchen um Mund und
Augen, doch ansonsten sah er unverändert aus.
    »Das ist er, nicht?«, fragte Ciaire.
    Verbrecher oder Heiliger?, stand unter dem Foto.
    »Ja.« Ich ging zum Fernseher, nahm ihr
dabei absichtlich die Sicht und machte den Apparat aus.
    Ciaire sah mich an. »Ich kann mich an ihn
erinnern«, sagte sie.
    Ich seufzte. »Schätzchen, du warst noch
gar nicht geboren.«
    Sie griff nach der Wolldecke, die auf der
Couch lag, und wickelte sie sich um die Schultern, als wäre ihr plötzlich kalt
geworden. »Ich kann mich an ihn erinnern«, wiederholte Ciaire.
     
    MICHAEL
     
    Ich hätte taub und blind sein müssen, um
nicht mitzubekommen, was alles über Shay Bourne gesagt wurde, aber ich hätte
ihn nie im Leben für einen Messias gehalten. Für mich gab es einen Sohn Gottes,
und ich wusste, wer das war. Was Bournes Effekthascherei anging - na, ich
hatte gesehen, wie David Blaine auf der Fifth Avenue in New York einen
Elefanten verschwinden ließ, aber auch das war kein Wunder gewesen. Um es auf
den Punkt zu bringen, meine Aufgabe hier war nicht, Shay Bournes Hirngespinste
zu bestärken... sondern ihm dabei zu helfen, vor der Hinrichtung Jesus Christus
als seinen Herrn und Erlöser anzunehmen, damit er ins Himmelreich kam.
    Und wenn ich ihm nebenbei auch noch
helfen konnte, sein Herz zu spenden, dann meinetwegen.
    Zwei Tage nach dem Vorfall in Block I
parkte ich meinen Trophy vor dem Gefängnis. Die ganze Zeit schon ging mir ein
Vers aus dem Matthäusevangelium durch den Kopf, in dem Jesus zu seinen Jüngern
sagte: Ich bin Gast gewesen, und ihr
habt mich beherbergt. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich bekleidet. Ich
bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin gefangen gewesen, und
ihr seid zu mir gekommen. Die
Jünger reagierten verwirrt. Sie konnten sich nicht erinnern, Jesus je nackt
oder krank oder im Gefängnis gesehen zu haben. Und Jesus erwiderte: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das
habt ihr mir getan.
    Drinnen erhielt ich wieder Schutzweste
und -brille. Die Tür zu Block I öffnete sich, und ich wurde den Gang hinunter
zu Shay Bournes Zelle geführt.
    Ich musste unwillkürlich an einen
Beichtstuhl denken, als ich vor der Metalltür mit ihren Schweizer-Käse-Löchern
stand, durch die ich Shay sehen konnte. Wir waren gleichaltrig, doch

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