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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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sagen wollte. »Ich kann es wiedergutmachen«, sagte er
schließlich.
    »Das können Sie nicht«, sagte sie
gepreßt.
    »Ihre andere Tochter -«
    June erstarrte. »Wagen Sie es nicht, von
ihr zu reden. Wagen Sie es nicht, auch nur ihren Namen in den Mund zu nehmen.
Sagen Sie es mir einfach. Ich warte seit elf Jahren darauf, es zu hören. Sagen
Sie mir, warum Sie es getan haben.«
    Er preßte die Augen fest zu; Schweiß
brach ihm auf der Stirn aus. Er flüsterte, eine Litanei, mit der er sich selbst
überzeugen wollte oder vielleicht June. Ich beugte mich vor, doch die Geräusche
aus der Küche übertönten seine Worte. Und dann wurde das, was da auf dem Grill
brutzelte, heruntergenommen, und wir alle hörten Shay laut und deutlich: »Sie
war tot besser dran.«
    June schoss hoch. Ihr Gesicht war so
bleich, dass ich fürchtete, sie würde zusammenklappen, und ich stand auch auf,
sicherheitshalber. Aber da strömte das Blut zurück in ihre Wangen, heiß. »Du
Schwein«, sagte sie und rannte nach draußen.
    Maggie zupfte an meiner Jacke. »Gehen
Sie«, formte sie lautlos mit den Lippen.
    Ich folgte June vorbei an zwei Aufsehern
und durch den Vorraum. Sie stürmte durch die Doppeltüren und auf den
Parkplatz, ohne auch nur eine Sekunde an der Sicherheitskontrolle stehen zu
bleiben, um ihren Besucherausweis zurückzugeben.
    »June«, rief ich. »Bitte warten Sie.«
    An ihrem Wagen holte ich sie schließlich
ein, einem alten Ford Taurus, dessen hintere Stoßstange mit Klebeband umwickelt
war. Sie schluchzte so wild, dass sie den Schlüssel nicht ins Schloss bekam.
    »Lassen Sie mich das machen.« Ich öffnete
die Tür und hielt sie für sie auf, damit sie einsteigen konnte, aber sie rührte
sich nicht. »June, es tut mir leid -«
    »Wie konnte er das sagen? Sie war ein
kleines Mädchen. Ein wunderschönes, gescheites, perfektes kleines Mädchen.«
    Ich schloss sie in die Arme und ließ sie
an meiner Schulter weinen. Später würde sie bedauern, das getan zu haben;
später würde sie das Gefühl haben, ich hätte die Situation ausgenutzt. Aber
jetzt hielt ich sie, bis sie wieder etwas ruhiger wurde.
    Erlösung hatte nur sehr wenig zu tun mit
dem großen Ganzen und weitaus mehr mit den besonderen Umständen. Jesus mochte
Shay vielleicht vergeben, aber was nützte das, wenn Shay sich nicht selbst
vergab? Das war die Kraft, die ihn dazu trieb, sein Herz zu spenden, genau wie
ich dazu getrieben wurde, ihm dabei zu helfen, weil es ausgleichen würde, dass
ich damals für seine Hinrichtung gestimmt hatte. Wir konnten unsere Fehler
nicht auslöschen, daher taten wir das Nächstbeste, in der Hoffnung, so von
ihnen ablenken zu können.
    »Ich wünschte, ich hätte Ihre Tochter
kennenlernen können«, sagte ich leise.
    June entzog sich mir. »Ja, das wünschte
ich auch.«
    »Tut mir leid, dass es so schlimm für Sie
war. Shay will wirklich Wiedergutmachung leisten. Er weiß, dass sein Tod
vielleicht das einzig Gute ist, was er in seinem Leben noch leisten kann.« Ich
blickte zu den Stacheldrahtspiralen, mit denen der Zaun des Strafanstalt
bespannt war: eine Dornenkrone für einen Mann, der ein Erlöser sein wollte.
»Ihre übrige Familie hat er Ihnen genommen«, sagte ich. »Lassen Sie ihn
wenigstens dabei helfen, dass Sie Ciaire behalten.«
    June stieg in ihr Auto. Sie weinte
wieder, als sie Gas gab und losfuhr. Ich sah, wie sie an der Ausfahrt anhielt,
ihr Blinker ein Sekundenzähler.
    Auf einmal leuchtete ihr
Rückfahrscheinwerfer auf. Sie setzte rasant zurück und bremste dicht neben mir.
Sie kurbelte das Fenster herunter. »Ich nehm sein Herz«, sagte June mit
belegter Stimme. »Ich werde es nehmen, und ich werde zusehen, wie das Schwein
stirbt, und dann sind wir noch längst nicht quitt.«
    Ich blieb stumm, nickte nur und sah June
davonfahren, ihre Rückleuchten so rot wie die Augen eines Teufels.
     
    MAGGIE
     
    »Tja«, sagte ich, als Father Michael mit
verwirrter Miene zurück in die Gefängniscafeteria kam, »das war ja wohl ein
Schubs in den Ofen.«
    Beim Klang meiner Stimme blickte er auf.
»Sie nimmt das Herz.«
    Ich glotzte ihn an. »Das ist ein Witz.«
    »Nein. Ihre Beweggründe sind falsch ...
aber sie nimmt es.«
    Ich konnte es nicht fassen. Nach dem
Debakel bei dem Täter-Opfer-Gespräch hätte ich mir eher vorstellen können, dass
sie sich eine Uzi besorgt, um die Strafe an Shay Bourne selbst zu vollstrecken.
Sofort schaltete mein Verstand auf Hochtouren: Wenn June Nealon Shays Herz
wollte - aus welchem Grund auch

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