Das Herz ihrer Tochter
immer
aufgrund der Schwerkraft, doch der Kopf wurde von der Schlinge gehalten,
wodurch das Genick brach und das Rückenmark durchtrennt wurde, was zu
sofortiger Bewußtlosigkeit und einem raschen Tod führte.
Ich hatte gelesen, dass Erhängen neben
Erschießen die weltweit verbreitetste Hinrichtungsmethode war. Es wurde vor
zweitausendfünfhundert Jahren in Persien für männliche Kriminelle eingeführt -
Frauen wurden am Pfahl erdrosselt, weil das weniger anstößig war - und war
eine reinlichere Alternative als das blutrünstigere Enthaupten, aber als
öffentliches Spektakel ebenso sensationell.
Erhängen war jedoch nicht narrensicher. Als
1885 in England ein gewisser Robert Goodale wegen Mordes gehängt wurde, riss
ihm die Wucht des Falls den Kopf ab. Dasselbe grausige Schicksal hatte den
Halbbruder Saddam Husseins 2007 im Irak ereilt. Die Sache war juristisch
brisant: Wenn die Todesstrafe durch Erhängen vollstreckt werden sollte, galt
die Strafe als nicht vollstreckt, wenn der Verurteilte enthauptet wurde.
Ich musste meine Hausaufgaben machen.
Daher war ich dabei, die offizielle englische Exekutionstabelle für den langen
Fall zu studieren und Shay Bournes Körpergewicht zu schätzen, als Father
Michael in mein Büro kam. »Sie kommen wie gerufen«, sagte ich und deutete auf
den Stuhl vor meinem Schreibtisch. »Wenn die Schlinge richtig sitzt - hat
irgendwas mit einer Messingöse zu tun -, verursacht der Fall die sofortige
Fraktur des C2 -Wirbels. Hier steht, der Hirntod tritt nach spätestens sechs Minuten
ein und der Ganzkörpertod innerhalb von zehn bis fünfzehn Minuten. Das
bedeutet, wir haben vier Minuten Zeit, ihn ans Atemgerät anzuschließen, ehe das
Herz aufhört zu schlagen, und ach ja, hätte ich fast vergessen - die
Staatsanwaltschaft hat sich gemeldet. Die haben unseren Antrag abgelehnt, Shay
statt per tödlicher Injektion durch Erhängen hinzurichten. Sie haben sogar das
offizielle Urteil als Anhang mitgeschickt, als hätte ich es nicht schon
tausendmal gelesen, mit der Info, wenn ich es anfechten wolle, müsste ich den
entsprechenden schriftlichen Antrag stellen. Was ich«, sagte ich, »vor fünf
Minuten getan habe.«
Father Michael schien gar nicht
zuzuhören. »Hören Sie«, sagte ich sanft, »es fällt leichter, sich mit dem Thema
Erhängen wissenschaftlich zu befassen ... als es mit Shay persönlich in Zusammenhang
zu bringen.«
»Tut mir leid«, sagte der Priester
kopfschüttelnd. »Ich hatte einfach - einen ziemlich miesen Tag.«
»Sie meinen den Showdown, den Sie mit dem
Fernsehprediger veranstaltet haben?«
»Sie haben das gesehen?«
»Sie sind Stadtgespräch, Father.«
Er schloss die Augen. »Na toll.«
»Ich bin sicher, Shay hat's auch gesehen,
falls das ein Trost für Sie ist.«
Father Michael blickte mich an. »Dank
Shay hält mich mein vorgesetzter Priester für einen Ketzer.«
Ich überlegte, was mein Vater wohl sagte,
wenn ein Mitglied seiner Gemeinde zu ihm kam, um seine Seele zu erleichtern.
»Halten Sie sich für einen Ketzer?«
»Kann ein Ketzer sich für einen Ketzer
halten?«, entgegnete er. »Ehrlich gesagt, ich bin der Allerletzte, der Ihnen
bei Shays Fall behilflich sein sollte, Maggie.«
»Hey«, sagte ich, um ihn aufzumuntern.
»Ich muss jetzt zu meinen Eltern, zum Dinner. Das ist ein fester
Freitagabendtermin. Kommen Sie doch einfach mit.«
»Ich will mich nicht aufdrängen ...«
»Glauben Sie mir, mit dem, was da
aufgetischt wird, könnte man ein Dritte-Welt-Land versorgen.«
»Na dann«, sagte der Priester, »komme ich
gern mit.«
Ich knipste meine Schreibtischlampe aus
und ging voraus durch den Irrgarten aus Aktenschränken im ACLU-Büro nach
draußen. »Raten Sie mal, was ich heute rausgefunden habe«, sagte ich. »Die
Bodenklappe vom alten Galgen in der Strafanstalt von Concord befindet sich im
Büro des Gefängnisgeistlichen.«
Als ich Father Michael einen Blick
zuwarf, war ich ziemlich sicher, den Anflug eines Lächeln zu sehen.
JUNE
In Dr. Wus Büro gefiel mir vor allem die
Fotowand. Ein riesiges Korkbrett war übersät mit Schnappschüssen von Patienten,
die es entgegen aller Wahrscheinlichkeit geschafft hatten, nachdem Dr. Wu ihre
kranken Herzen operiert hatte: Babys auf Kissen, Porträts auf Weihnachtskarten
und Jungen, die Baseballschläger schwangen. Es war ein Wandbild des Erfolges.
Als ich Dr. Wu zum ersten Mal von Shay
Bournes Angebot erzählt hatte, hatte er aufmerksam zugehört und dann gesagt, er
habe in seinen
Weitere Kostenlose Bücher