Das Herz ihrer Tochter
neu.«
»Erzählen Sie uns von Ihrer Zeit als
Fernsehatheist«, sagte Larry.
»Nun, ich hab genau das gemacht, was
Fernsehprediger Jerry Falwell gemacht hat - nur dass ich gesagt habe, es gebe
keinen Gott, anstatt seine Existenz zu beschwören. Ich habe im ganzen Land
angebliche Wunder als falsch entlarvt. Als ich es eines Tages mit einem Wunder
zu tun bekam, das ich nicht widerlegen konnte, fragte ich mich, ob ich wirklich
etwas gegen Gott einzuwenden hatte ... oder bloß gegen diesen
Ausschließlichkeitsanspruch, der offenbar automatisch mit der Zugehörigkeit zu
einer religiösen Gruppe einhergeht.«
»Sind Sie noch Atheist?«, fragte King.
»Genau genommen müsste man mich als
Agnostiker bezeichnen.«
Justus schnaubte. »Haarspalterei.«
»Falsch. Ein Atheist hat mehr mit einem
Christen gemein, er glaubt nämlich zu wissen, ob Gott existiert oder nicht -
aber wo der Christ sagt, hundertprozentig Ja, sagt der Atheist hundertprozentig
Nein. Für mich und jeden anderen Agnostiker ist die Frage ungeklärt. Religion
ist faszinierend, aber in historischer Hinsicht. Ein Mensch sollte seine
Lebensweise nicht irgendeiner göttlichen Autorität unterstellen, sondern einer
persönlichen moralischen Verpflichtung sich selbst und anderen gegenüber.«
Larry King wandte sich an Reverend
Justus. »Und Sie, Sir, Ihre Gemeinde versammelt sich in einem ehemaligen
Autokino? Finden Sie nicht, das nimmt der Religion einiges von ihrer Pracht
und Herrlichkeit?«
»Wir haben festgestellt, Larry, dass die
Verpflichtung, aufzustehen und zur Kirche zu gehen, für manche Leute einfach
zu erdrückend ist. Sie wollen nicht sehen und gesehen werden. Sie wollen an
einem schönen Sonntag draußen sein. Sie beten lieber in privater Atmosphäre. In
unserer Drive-in-Kirche kann jeder so mit Gott kommunizieren, wie er will - ob
im Pyjama oder mit einem Cheeseburger in der Hand oder indem er während meiner
Predigt eindöst.«
»Kommen wir auf Shay Bourne zu sprechen,
der die Gemüter so sehr erhitzt«, sagte King. »Was hat Shay Bourne Ihrer Meinung
nach an sich, dass Leute glauben, er könnte tatsächlich der Messias sein?«
»Soweit ich informiert bin«, sagte
Fletcher, »behauptet Shay Bourne weder, der Messias zu sein, noch Mary Poppins,
noch Supermann. Die Bezeichnung Messias haben ihm seine Anhänger gegeben.
Pikanterweise erinnert das stark an die Bibel - Jesus posaunte auch nicht
herum, Gott zu sein.«
»>Ich bin der Weg, die Wahrheit und
das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich<«, zitierte Justus. »Johannes, 14 :6.«
»In einem der Evangelien steht auch, dass
Jesus verschiedenen Leuten in verschiedener Gestalt erschienen ist«, sagte
Fletcher. »Der Apostel Jakob sagt zu Johannes, er würde Jesus in Gestalt eines
Kindes am Ufer stehen sehen. Er zeigt in die Richtung, doch Johannes sieht dort
einen stattlichen jungen Mann. Sie gehen der Sache auf den Grund, und während
der eine einen kahlköpfigen Alten sieht, sieht der andere einen jungen Mann mit
Bart.«
Reverend Justus blickte finster. »Ich
kenne das Johannesevangelium in- und auswendig«, sagte er, »und das steht da
nicht drin.«
Fletcher lächelte. »Ich habe nichts vom
Johannesevangelium gesagt. Ich habe nur von einem Evangelium gesprochen.
Und zwar einem gnostischen Evangelium, den sogenannten Johannesakten.«
»In der Bibel gibt es keine Johannesakten«, schnaubte
Justus. »Das denkt er sich bloß aus.«
»Der Reverend hat recht - die gibt es
nicht in der Bibel. Ebenso wie Dutzende andere. Aufgrund einer Reihe sozusagen
redaktioneller Entscheidungen wurden sie ausgeschlossen und von der
frühchristlichen Kirche als ketzerisch abgestempelt. Tatsächlich stammen die
Evangelien des Matthäus, Markus, Lukas und Johannes gar nicht aus der Feder der
Apostel Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Sie wurden auf Griechisch
verfaßt, von Autoren, die eine gewisse Bildung besaßen - anders als die Jünger
Jesu, die Fischer waren und nicht lesen und schreiben konnten, wie neunzig
Prozent der Bevölkerung. Das Markusevangelium basiert auf Predigten des
Apostels Petrus. Der Verfasser des Matthäusevangeliums war vermutlich ein
Judenchrist aus dem syrischen Antiochia. Das Lukasevangelium verfaßte angeblich
ein Arzt. Und der Verfasser des Johannesevangeliums erwähnt an keiner Stelle
seinen Namen... aber es entstand als Letztes der kanonischen Evangelien, etwa
um 100 nach Christus. Falls der Apostel Johannes der Autor war, wäre er
steinalt gewesen.«
»Schall und
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