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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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dreiundzwanzig Jahren Berufserfahrung noch nie erlebt, dass das
Herz eines erwachsenen Mannes als Spende für ein Kind infrage käme. Herzen
wuchsen entsprechend den Bedürfnissen des Körpers - weshalb jedes potenzielle
Organ, das Ciaire bislang zur Transplantation angeboten worden war, von einem
anderen Kind gekommen war. »Ich untersuche ihn«, hatte Dr. Wu versprochen,
»aber machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen.«
    Jetzt beobachtete ich, wie Dr. Wu Platz
nahm und die Hände flach auf den Schreibtisch legte. Ich fand es immer wieder
erstaunlich, dass er sie benutzte wie ganz normale Körperteile zum Händeschütteln
und Winken, obwohl er damit Wunder tat. »June...«
    »Sagen Sie's einfach«, reagierte ich
gespielt munter. Dr. Wu sah mir in die Augen. »Er passt hundertprozentig für
Ciaire.«
    Ich hatte schon nach dem Trageriemen
meiner Handtasche gegriffen, um ihm rasch zu danken und mich dann aus dem
Staub zu machen, ehe ich losheulte, weil wieder ein Herz verloren war, aber bei
diesen Worten blieb ich wie angewurzelt sitzen. »Was ... bitte?«
    »Die beiden haben dieselbe Blutgruppe - B
positiv. Die Kreuzprobe, die wir mit ihrem Blut vorgenommen haben, war nicht
reaktiv. Aber das Erstaunlichste kommt noch - sein Herz hat genau die richtige
Größe.«
    Ich wusste, dass sie nach Spendern
suchten, deren Körpergewicht um höchstens 20 Prozent vom Gewicht des Patienten
abwich - was in Claires Fall hieß, jemand zwischen 28 und 45 Kilo. Shay Bourne
war ein kleiner Mann, aber er war trotzdem ein Erwachsener. Er musste
mindestens 55 bis 60 Kilo auf die Waage bringen.
    »Medizinisch ist das ein Rätsel.
Theoretisch ist sein Herz zu klein, um die Arbeit zu leisten, die für seinen
Körper erforderlich ist... und doch ist er anscheinend gesund wie ein Pferd.«
Dr. Wu lächelte. »Wie es aussieht, hat Ciaire einen Spender.«
    Ich erstarrte. Eigentlich müsste ich vor
Freude an die Decke springen - aber ich konnte kaum atmen. Wie würde Ciaire
reagieren, wenn sie von den näheren Umständen der Spende erfuhr? »Sie dürfen
es ihr nicht sagen«, bat ich.
    »Dass sie ein Transplantat bekommt?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Woher es
stammt.«
    Dr. Wu runzelte die Stirn. »Meinen Sie
nicht, dass sie das irgendwie mitbekommt? Die Geschichte ist in allen Nachrichten.«
    »Organspender müssen anonym bleiben.
Außerdem will sie nicht das Herz eines Jungen. Das hat sie immer gesagt.«
    »Darum geht es doch hier nicht, oder?«
Der Kardiologe starrte mich an. »Es ist ein Muskel, June. Nicht mehr und nicht
weniger. Was ein Herz für eine Transplantation tauglich macht, hat nichts mit
der Persönlichkeit des Spenders zu tun.«
    Ich hob den Blick und sah ihn an. »Was
würden Sie machen, wenn Ciaire Ihre Tochter wäre?«
    »Wenn sie meine Tochter wäre«, erwiderte
Dr. Wu, »hätte ich schon den OP-Termin angesetzt.«
     
    LUCIUS
     
    Ich versuchte, Shay zu sagen, dass er am
Abend Thema bei Larry Kings Live sein würde, doch entweder schlief er, oder er hatte einfach keine
Lust, mir zu antworten. Statt dessen holte ich meinen selbst gebastelten
Tauchsieder aus seinem Versteck hinter einem Stein in der Wand und machte
Teewasser heiß. Die Talkgäste in der Sendung waren der durchgeknallte
Reverend, mit dem sich Father Michael draußen vor dem Knast angelegt hatte, und
irgend so ein aufgeblasener Schlaukopf namens Ian Fletcher. Es war schwer zu
sagen, wer von beiden die faszinierendere Vorgeschichte hatte - Reverend
Justus mit seiner Drive-in-Kirche oder Fletcher, der ein Fernsehatheist gewesen
war, bis er einem kleinen Mädchen begegnete, das offenbar Wunder vollbringen
und Tote erwecken konnte. Dass er schließlich die alleinerziehende Mutter des
Mädchens geheiratet hatte, schwächte die Glaubwürdigkeit seiner Äußerungen
meiner Ansicht nach stark ab.
    Trotzdem, er konnte besser reden als
Reverend Justus, der immer wieder aus seinem Sessel hochfuhr, als wäre er mit
Helium gefüllt. »Wissen Sie, Larry«, sagte der Reverend. »Probleme lassen sich
nicht verhindern, aber man muss sie nicht noch heraufbeschwören.«
    Larry King klopfte zweimal mit seinem
Stift auf den Schreibtisch. »Und damit wollen Sie sagen ...?«
    »Wunder machen aus einem Menschen noch
lange nicht Gott. Dr. Fletcher müsste das eigentlich am besten wissen.«
    Ian Fletcher lächelte unbeeindruckt. »Je
mehr man glaubt, recht zu haben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass
man unrecht hat. Diese Erkenntnis ist Reverend Justus anscheinend

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