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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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dem
Inhalt, dass Sie als Shay Bournes Seelsorger an die Erlösung durch Organspende
glauben? Und dann schalte ich die Mittagsnachrichten ein und sehe Sie Reden
schwingen wie irgend so ein ... wie irgend so ein ...«
    »Wie wer?«
    Er schüttelte den Kopf, verkniff es sich
aber, mich einen Häretiker zu nennen. »Sie haben Tertullian gelesen«, sagte
er.
    Das hatten wir alle, im Seminar. Er war
ein bedeutender frühchristlicher Denker, dessen Text Vom prinzipiellen Einspruch gegen die Häretiker ein Wegbereiter des Nizäischen Glaubensbekenntnisses war. Tertullian
hatte den Begriff der Glaubensquelle geprägt. Gemeint ist damit, dass wir aus
dem schöpfen, was Christus uns gelehrt hat, und es so glauben, wie es ist, ohne
etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen.
    »Wollen Sie wissen, warum es den
Katholizismus seit rund zweitausend Jahren gibt?«, sagte Father Walter. »Wegen
Menschen wie Tertullian, die begriffen haben, dass man mit der Wahrheit nicht
spielen sollte. Die Leute haben sich über die Änderungen durch das Zweite
Vatikanische Konzil aufgeregt. Der Papst hat inzwischen sogar die lateinische
Messe wieder zugelassen.«
    Ich holte tief Luft. »Ich dachte, als
Seelsorger sei es meine Aufgabe, Shay Bourne zu helfen, in Frieden sterben zu
können - nicht, ihn zu einem guten Katholiken zu machen.«
    »Du lieber Himmel«, sagte Father Walter.
»Sie sind auf ihn reingefallen.«
    Ich blickte finster. »Ich bin nicht auf
ihn reingefallen.«
    »Sie fressen ihm ja förmlich aus der
Hand! Sehen Sie sich doch an - Sie haben sich heute in den Nachrichten förmlich
wie sein Pressesprecher aufgeführt -«
    »Glauben Sie, dass Jesu Tod einen Sinn
hatte?«, fiel ich ihm ins Wort.
    »Natürlich.«
    »Warum sollte Shay Bourne dann nicht das
Gleiche zustehen?«
    »Weil«, sagte Father Walter, »Shay Bourne
nicht für die Sünden anderer stirbt, sondern für seine eigenen.«
    Ich zuckte zusammen. Wusste ich das nicht
besser als alle anderen?
    Father Walter seufzte. »Ich bin auch kein
Befürworter der Todesstrafe, aber ich kann dieses Urteil nachvollziehen. Er hat
zwei Menschen ermordet. Einen Polizeibeamten und ein kleines Mädchen.« Er
schüttelte den Kopf. »Retten Sie seine Seele, Michael. Versuchen Sie nicht,
sein Leben zu retten.«
    Ich blickte auf. »Was meinen Sie, was
wäre passiert, wenn nur einer von den Aposteln, die mit Jesus zusammen im
Garten Gethsemane waren, nicht eingeschlafen wäre? Wenn sie seine Festnahme
verhindert hätten? Wenn sie versucht hätten, sein Leben zu retten?«
    Father Walters Mund klappte auf. »Sie
glauben doch wohl nicht im Ernst, Shay Bourne ist Jesus, oder?«
    Nein, tat ich nicht.
    Oder?
    Father Walter nahm seine Brille ab. Er
rieb sich die Augen. »Mikey«, sagte er, »nehmen Sie sich zwei Wochen frei.
Fahren Sie irgendwohin und beten Sie. Denken Sie darüber nach, was Sie da tun -
und was Sie sagen.« Er blickte mich an. »Und in der Zwischenzeit möchte ich
nicht, dass Sie für St. Catherine das Gefängnis aufsuchen.«
    Ich sah mich in der Kirche um, die mir
mittlerweile ans Herz gewachsen war - mit ihren polierten Bänken und dem Licht,
das durch die Buntglasfenster fiel, der wispernden Seide des Kelchtuchs, den
tanzenden Flammen auf den Opferkerzen. Denn
wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.
    »Ich werde nicht für St. Catherine das
Gefängnis aufsuchen«, sagte ich, »aber für Shay.«
    Ich ging den Mittelgang hinunter, vorbei
am Weihwasserbecken, an dem Schwarzen Brett mit den Informationen über den
kleinen Jungen aus Simbabwe, den die Gemeinde mit Spenden unterstützte. Und
als ich durch die Doppeltüren nach draußen trat, war die Welt so strahlend
hell, dass ich einen Moment lang nicht sehen konnte, wohin ich ging.
     
    MAGGIE
     
    Es gab vier Methoden, einen Menschen zu
hängen. Bei der ersten genügte ein kurzer Fall von wenigen Zentimetern. Durch
das Körpergewicht des Delinquenten und sein Strampeln zog sich die Schlinge
fest zu, was zum Tod durch Strangulierung führte. Bei der zweiten wurde der
Verurteilte an einem Seil hochgezogen, bis der Tod eintrat. Bei der dritten, der
Standardmethode - die in den USA im späten 19. und bis ins 20. Jahrhundert
hinein verbreitet war -, fiel der Verurteilte etwa 1,20 bis 1,80 Meter tief,
was einen Genickbruch zur Folge haben konnte. Der sogenannte lange Fall war
eine individuellere Hinrichtungsmethode: Die Stricklänge wurde nach Gewicht und
Körperbau berechnet. Der Körper beschleunigte sich am Ende des Falls noch

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