Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
halten.«
    »Hab ich alles schon hinter mir«, sagte
sie und reichte mir das neueste Konterfei meines Babys.
    Als ich es betrachtete, stockte mir der
Atem: Dieses neue Baby schlug ganz nach Kurt - sah völlig anders aus als ich,
als Elizabeth. Dieses neue Baby hatte seine weit auseinanderstehenden Augen,
seine Grübchen, sein spitzes Kinn. Ich steckte das Foto zusammengefaltet in die
Handtasche, um es Kurt zu zeigen, und machte mich auf den Weg nach Hause.
    Auf der Straße stauten sich die Autos.
Ich dachte, irgendwo wäre eine Baustelle. Seit einiger Zeit wurden in unserer
Gegend die Straßen neu geteert. Ich wartete im Stau, hörte Radio. Nach fünf
Minuten wurde ich unruhig - Kurt hatte heute Dienst, und er war extra früher
zum Lunch nach Hause gekommen, damit ich zum Ultraschall konnte, ohne Elizabeth
mitnehmen zu müssen. Wenn ich ihn nicht bald ablöste, würde er zu spät zur Arbeit
kommen.
    »Gott sei Dank«, sagte ich, als die
Schlange sich langsam wieder in Bewegung setzte. Doch dann sah ich ein
Umleitungsschild und einen quer stehenden Streifenwagen, der die Einfahrt in
unsere Straße blockierte. Mein Herz krampfte sich zusammen.
    Roger, ein Officer, den ich nur flüchtig
kannte, lenkte den Verkehr um. Ich ließ das Fenster runter. »Ich wohne da
vorne«, sagte ich zu ihm. »Ich bin die Frau von Kurt Nea -«
    Ehe ich den Satz beenden konnte,
erstarrte seine Miene, und ich wusste schlagartig, dass etwas passiert war.
Genau denselben Ausdruck hatte ich in Kurts Gesicht gesehen, als er mir beibrachte,
dass Jack den Autounfall nicht überlebt hatte.
    Ich öffnete den Gurt und schob mich, ohne
den Motor abzustellen, aus dem Auto, plump und unbeholfen mit meinem dicken
Bauch. »Wo ist sie?«, schrie ich. »Wo ist Elizabeth?«
    »June«, sagte Roger und legte einen Arm
fest um mich. »Kommen Sie doch bitte mit mir.«
    Er führte mich ein Stück unsere Straße
hinunter, bis ich sah, was ich von der Absperrung aus nicht hatte sehen können:
rotierende Blaulichter, die gähnenden Mäuler von Krankenwagen, die Tür zu
meinem Haus sperrangelweit auf. Ein Polizist hielt unseren Hund auf dem Arm;
als Dudley mich sah, begann er wie verrückt zu bellen.
    »Elizabeth!«, schrie ich, stieß Roger von
mir und rannte los, so schnell, wie es mir mit meiner Leibesfülle möglich war.
»Elizabeeeeeth!«
    Irgend jemand stellte sich mir so abrupt
in den Weg, dass ich förmlich in ihn hineinrannte, und hielt mich fest - der
Polizeichef. »June«, sagte er sanft. »Kommen Sie mit.«
    Ich wehrte mich gegen Irv - kratzte,
trat, flehte. Ich dachte, wenn ich mit ihm kämpfte, würde ich vielleicht nicht
hören, was er mir sagen wollte. »Elizabeth?«, flüsterte ich.
    »Es hat einen Kampf gegeben, eine Kugel
hat sich gelöst, und sie wurde getroffen, June.«
    Ich wartete, dass er sagte, Aber sie wird wieder gesund, bloß
das tat er nicht. Er schüttelte den Kopf. Später würde ich mich daran erinnern,
dass er geweint hatte.
    »Ich will zu ihr«, schluchzte ich.
    »Da ist noch was«, sagte Irv, doch im
selben Augenblick schoben Sanitäter Kurt auf einer Rolltrage heraus. Sein
Gesicht war schneeweiß - im Gegensatz zu dem blutgetränkten Verband um seinen
Bauch.
    Ich ergriff Kurts Hand, und er wandte den
Kopf, sah mich mit glasigen Augen an. »Es tut mir leid«, brachte er mit Mühe
heraus. »Es tut mir so leid.«
    »Was ist passiert?«, kreischte ich
panisch. »Was tut dir leid? Was ist mit ihr passiert?«
    »Ma'am«, sagte ein Sanitäter, »er muss
schnellstens ins Krankenhaus.«
    Ein anderer Sanitäter zog mich zurück.
Ich sah ihnen nach, wie sie Kurt von mir wegbrachten.
    Dann führte Irv mich zu den offenen
Hecktüren eines anderen Krankenwagens und redete dabei behutsam auf mich ein,
Worte, die in diesem Moment fest und solide wie Ziegelsteine wirkten, während
er Satz für Satz übereinanderschichtete, um eine Mauer zu errichten zwischen
dem Leben, wie ich es gekannt hatte, und dem, das ich nun würde führen müssen. Kurt hat eine Aussage gemacht ... hat den Zimmermann überrascht, wie
er Elizabeth mißbraucht hat... Handgemenge... Schüsse... Elizabeth versehentlich
getroffen.
    Elizabeth, sagte ich immer zu ihr, wenn ich das Abendessen machte und sie mir in
der kleinen Küche auf Schritt und Tritt folgte, du bist mir im Weg.
    Elizabeth, dein Vater und ich unterhalten
uns gerade.
    Elizabeth, nicht jetzt.
    Nie mehr.
    Meine Beine waren gefühllos, als Irv mir
in den zweiten Krankenwagen hineinhalf. »Sie ist die Mutter«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher