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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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Wohnen zu viert oder zu fünft in einem Raum. An ihrer Armut waren sie gestorben. Darüber grübelte er, während er seinen Kaffee trank, um wach zu bleiben. Er musste sein Kinn mit der Hand festhalten, denn sobald er müde wurde, zuckten seine Halsnerven so stark, dass sein ganzer Kopf zitterte.
    In der vierten Februarwoche kam Portia eines Tages schon um sechs Uhr früh zu ihm. Er saß am Herd und wärmte sich einen Topf Milch. Sie war völlig betrunken. Scharfer, süßlicher Gingeruch schlug ihm entgegen, und seine Nasenflügel blähten sich vor Ekel. Er würdigte sie keines Blicks, sondern beschäftigte sich weiter mit seinem Frühstück. Er krümelte Brot in eine Schüssel und goss heiße Milch darüber. Dann kochte er Kaffee und deckte den Tisch.
    Als er beim Frühstück saß, schaute er Portia streng an. »Hast du schon gefrühstückt?«
    »Ich will kein Frühstück«, sagte sie.
    »Du musst aber frühstücken. Sofern du die Absicht hast, heute zu arbeiten.«
    »Ich will nicht arbeiten.«
    Er bekam es mit der Angst zu tun: Er mochte nicht weiterfragen. Den Blick auf die Schüssel gesenkt, löffelte er mit zittriger Hand seine Milch. Als er fertig war, richtete er die Augen auf die Wand, genau über Portias Kopf. »Hast du die Sprache verloren?«
    »Ich werd’s dir erzählen. Wirst schon noch alles hören. Sobald ich reden kann, werd ich’s dir erzählen.«
    Portia saß regungslos auf dem Stuhl und blickte nervös von einer Zimmerecke zur anderen. Sie ließ die Arme hängen und hatte die Füße übereinandergelegt. Er wandte sich ab und hatte dabei einige Sekunden lang ein trügerisches Gefühl von Behagen und Freiheit; er spürte einen Stich, denn er wusste, wie bald dieses Gefühl zerstört werden würde.
    Er legte Holz nach und wärmte sich die Hände am Feuer. Dann drehte er sich eine Zigarette. Die Küche war blitzblank geputzt und aufgeräumt. Die Töpfe und Pfannen blitzten im Feuerschein und warfen runde, schwarze Schatten an die Wand.
    »Ist wegen Willie.«
    »Ich weiß.« Bedächtig rollte er die Zigarette zwischen den Handflächen, und dabei sah er sich gierig um, als gälte es, die letzten süßen Freuden des Daseins zusammenzuraffen.
    »Ich hab dir ja gesagt, dass dieser Buster Johnson mit Willie im Gefängnis ist. Wir kennen ihn von früher. Gestern ist er nach Haus gekommen.«
    »So?«
    »Buster ist ein Krüppel fürs Leben.«
    Sein Kopf zitterte wieder. Er drückte die Hand ans Kinn, um sich zu beruhigen, aber das Zittern war kaum zu bändigen.
    »Gestern Abend waren Bekannte bei mir, und die haben gesagt, Buster ist zu Haus und will mir was von Willie sagen. Ich bin gleich hingerannt, und da hat er’s mir gesagt.«
    »Ja.«
    »Sie waren zu dritt: Willie und Buster und noch einer. Sie waren Freunde. Dann ist diese Sache passiert.« Portia hielt inne. Sie leckte an ihrem Finger und befeuchtete damit ihre trockenen Lippen. »Hat was mit dem weißen Aufseher zu tun, der immer auf ihnen rumgehackt hat. Eines Tages, draußen beim Straßenbau, ist Buster frech geworden, und da wollte der andere ausreißen, in den Wald. Da haben sie alle drei ins Lager gebracht und in diese eiskalte Zelle gesteckt.«
    »Ja«, sagte er noch einmal, aber das Wort kam rasselnd aus seiner Kehle, und sein Kopf zitterte unaufhörlich.
    »So vor sechs Wochen war das. Wie’s so kalt war, weißt du noch? Da haben sie Willie und die andern in diese eisigkalte Zelle gesteckt.«
    Portias Worte flossen leise und nahtlos dahin, ohne dass der schmerzliche Ausdruck von ihrem Gesicht verschwand. Ein leiser Singsang. Sie redete, und er konnte es nicht verstehen. Deutlich hörte er ihre Stimme, aber was sie sagte, schien weder Form noch Sinn zu haben. Als wäre sein Kopf ein Schiffsbug, an dem die Worte sich wie Wellen brachen, um dann weiterzurauschen. Als müsste er den Kopf wenden, um die gesagten Worte hinter sich wiederzufinden.
    »…und ihre Füße sind angeschwollen, und sie haben sich am Boden gewälzt und geschrien. Und keiner ist gekommen.«
    »Ich bin taub«, sagte Doktor Copeland. »Ich kann nichts verstehen.«
    »Sie haben unsern Willie und die andern in die Eiszelle gesteckt. Und ein Strick hing von der Decke, und sie haben ihnen die Schuhe ausgezogen und ihre nackten Füße an den Strick gebunden. So haben Willie und die andern dagelegen, den Rücken am Boden und die Füße in der Luft. Und ihre Füße sind angeschwollen, und sie haben dagelegen und sich gewälzt und geschrien. Eiskalt war es in der Zelle, und ihre

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