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Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)

Titel: Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carson McCullers
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den Hut auf den Knien und drehte ihn nervös in den schmalen, dunklen Händen. Seine gelben Handflächen waren so feucht, dass er sie immer wieder mit dem Taschentuch abwischen musste. Sein Kopf zitterte unablässig, und seine Muskeln waren ganz steif vor lauter Anstrengung, ihn stillzuhalten.
    Mr.   Singer kam herein. Doktor Copeland hob den Kopf und sah ihn an. »Haben Sie es gehört?«, fragte er. Mr.   Singer nickte. In seinem Blick lag kein Entsetzen, kein Mitleid, kein Hass wie bei allen anderen. Er allein verstand, worum es ging.
    »Wie heißt dein Vater?«, flüsterte Mick Portia zu.
    »Heißt Benedict Mady Copeland.«
    Mick bückte sich zu Doktor Copeland und schrie ihm, als wäre er taub, ins Ohr: »Benedict, glaubst du, dass dir von heißem Kaffee ’n bisschen besser wird?«
    Doktor Copeland fuhr zurück.
    »Hör doch auf, so zu schreien«, sagte Portia. »Er hört so gut wie du.«
    »Oh«, sagte Mick. Sie spülte den Kaffeesatz aus dem Topf und machte frischen Kaffee.
    Der Taubstumme stand an der Tür. Doktor Copeland sah ihn immer noch an: »Sie haben es gehört?«
    »Was wird denn mit diesen Gefängniswärtern gemacht?«, fragte Mick.
    »Weiß nicht, Herzchen«, sagte Portia. »Weiß ich wirklich nicht.«
    »Da muss man doch was tun. Also bestimmt – da muss man was tun.«
    »Was wir tun können, ändert nichts. Wir halten am besten den Mund.«
    »Die sollten genauso behandelt werden, wie sie Willie und die andern behandelt haben. Nein, schlimmer. Wenn ich bloß ein paar Leute zusammenkriege – ich würde die Kerle selbst umbringen.«
    »So was sagt man nicht als Christ«, sagte Portia. »Wir können nicht mehr tun, als still sein und wissen, dass sie von Satan auf Ofengabeln gespießt und bis in alle Ewigkeit gebraten werden.«
    »Wenigstens Mundharmonika spielen kann Willie noch.«
    »Mit zwei abgesägten Füßen ist das auch alles, was er noch kann.«
    Im ganzen Haus ging es laut und hektisch zu. Im Zimmer über der Küche wurden Möbel gerückt. Im Speisezimmer saßen die Untermieter. Mrs.   Kelly eilte zwischen Frühstückstisch und Küche hin und her. Mr.   Kelly ging in ausgebeulten Hosen und Bademantel auf und ab. Die kleineren Kelly-Kinder aßen gierig in der Küche. Überall im Haus hörte man Stimmen und Türenschlagen.
    Mick reichte Doktor Copeland eine Tasse Kaffee mit Magermilch, die das Getränk bläulich-grau färbte. Etwas Kaffee war auf die Untertasse geschwappt, so dass er zuerst Untertasse und Tassenrand mit dem Taschentuch abtrocknen musste. Er hatte doch gar keinen Kaffee haben wollen.
    »Ich wünschte, ich könnte sie alle umbringen«, sagte Mick.
    Im Haus wurde es still. Das Speisezimmer leerte sich, die Leute gingen zur Arbeit. Mick und George machten sich auf den Schulweg, und das Baby wurde in eines der vorderen Zimmer gebracht. Mrs.   Kelly band sich ein Handtuch um den Kopf und ging mit einem Besen nach oben.
    Der Taubstumme stand immer noch an der Tür, Doktor Copeland sah zu ihm auf. »Wissen Sie davon?«, fragte er noch einmal. Die Worte blieben tonlos, aber die Frage stand in seinen Augen. Der Taubstumme war fort. Doktor Copeland war mit Portia allein. Er blieb noch eine Weile auf dem Schemel in der Ecke sitzen. Schließlich stand er auf.
    »Setz dich wieder, Vater. Heut Vormittag wollen wir zusammenbleiben. Ich werd Bratfisch und Kartoffeln und Eierspeise machen. Bleib hier, dann kriegst du eine gute warme Mahlzeit.«
    »Du weißt doch, dass ich Besuche machen muss.«
    »Lass doch, bloß diesen einen Tag. Bitte, Vater. Ich hab ein Gefühl, als müsst ich richtig zerspringen. Außerdem will ich nicht, dass du dich allein auf der Straße rumtreibst.«
    Zögernd befühlte er seinen Mantelkragen. Er war immer noch nass »Es tut mir leid, Tochter. Du weißt, ich muss diese Besuche machen.«
    Portia hielt seinen Schal über den Herd, bis die Wolle warm war. Sie knöpfte ihm den Mantel zu und schlug den Kragen hoch. Er räusperte sich, spuckte in eines der Papiertaschentücher, die er stets bei sich trug, und warf es ins Feuer. Draußen blieb er auf den Stufen bei Highboy stehen. Er bat ihn, bei Portia zu bleiben, falls er für heute frei bekäme.
    Draußen war es schneidend kalt. Unablässig rieselte es vom tiefverhangenen, dunklen Himmel. Die Müllsäcke waren durchweicht, und es roch widerlich nach Abfall im Gässchen. Doktor Copeland musste sich beim Gehen am Zaun festhalten und seine dunklen Augen auf den Weg richten.
    Nachdem er die dringendsten Besuche erledigt

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