Das Herz ist ein einsamer Jäger (German Edition)
die feuchte Schwüle bedrückten ihn. Mit geschwollenen Augen und schmerzendem Kopf kam er schließlich in seinem Zimmer an. Nachdem er sich etwas ausgeruht hatte, trank er ein Glas Eiskaffee und rauchte eine Zigarette. Dann säuberte er Aschenbecher und Glas, zog die Pistole aus der Tasche und schoss sich eine Kugel ins Herz.
Dritter Teil
1
21. August 1939, morgens
Ich will mich aber nicht beeilen«, sagte Doktor Copeland. »Würdest du mich bitte einen Moment hier ruhig sitzen lassen.«
»Vater, wir wollen dich ja nicht hetzen, aber es wird jetzt wirklich Zeit, dass wir loskommen.«
Doktor Copeland hatte seinen grauen Schal fest um die Schultern gezogen und schaukelte stur in seinem Stuhl hin und her. Obwohl es ein schöner, warmer Morgen war, brannte ein kleines Holzfeuer im Herd. Die Küche war ausgeräumt – bis auf den Stuhl, auf dem er saß. Auch die anderen Räume standen leer. Die meisten Möbel waren in Portias Wohnung geschafft worden, den Rest hatten sie auf dem Auto draußen verstaut. Alles war bereit – nur er war es nicht. Wie konnte er aufbrechen, wenn er weder Anfang noch Ende, weder die Wahrheit noch das Ziel sah? Er hob die Hand, um seinen zitternden Kopf festzuhalten, und fuhr fort, langsam in dem knarrenden Stuhl zu schaukeln.
Durch die geschlossene Tür hörte er ihre Stimmen:
»Ich hab alles getan, was ich kann. Er hat sich’s in den Kopf gesetzt, er will da sitzen bleiben, solange es ihm passt.«
»Buddy und ich haben die Porzellanteller eingepackt und…«
»Wir sollten aufbrechen, bevor der Tau verschwunden ist«, sagte der Alte. »Sonst werden wir von der Dunkelheit überrascht, bevor wir da sind.«
Die Stimmen wurden leiser, und die Schritte entfernten sich; er hörte sie nicht mehr. Neben ihm auf dem Fußboden stand eine Tasse. Er füllte sie mit Kaffee aus dem Topf, der auf dem Herd stand. Während er sich hin- und herwiegte, trank er den Kaffee und wärmte sich die Finger am heißen Dampf. Nein, das konnte nicht das Ende sein. In seinem Herzen hörte er andere Stimmen, die ihn wortlos riefen: die Stimme Jesu und die Stimme John Browns; die Stimme des großen Spinoza und die Stimme von Karl Marx. Die fordernden Stimmen aller Kämpfer, deren Mission er hatte vollenden wollen. Die gequälten Stimmen seines Volkes. Auch die Stimme der Toten: des taubstummen Singer, jenes redlichen Weißen, der ihn verstanden hatte. Die Stimmen der Schwachen und die Stimmen der Mächtigen. Die immer stärker anschwellende Stimme seines Volkes. Die Stimme des einen großen, wahren Ziels. Und seine Antwort lag zitternd auf seinen Lippen, die Quelle allen menschlichen Schmerzes – und beinah sprach er die Worte aus: »Allmächtiger! Höchste Gewalt des Weltalls! Ich habe getan, was ich nicht hätte tun sollen, und all das, was ich hätte tun sollen, blieb ungetan. Nein, das kann nicht das Ende sein.«
Mit ihr, die er geliebt hatte, war er in dieses Haus gezogen, mit Daisy im Brautkleid und mit weißem Spitzenschleier. Ihre Haut hatte die schöne Farbe dunklen Honigs, und ihr Lachen klang süß. Nachts hatte er sich im hell erleuchteten Zimmer eingeschlossen, um zu arbeiten. Er hatte sich um Konzentration, um disziplinierte Arbeit bemüht. Aber wenn Daisy ihm so nah war, wurde sein Verlangen nach ihr zu stark, als dass er es durch seine Studien hätte bezwingen können. So gab er manchmal nach – dann wieder biss er die Zähne zusammen und saß die ganze Nacht über seinen Büchern. Später dann Hamilton und Karl Marx, William und Portia. Alle hatte er verloren. Keiner war geblieben.
Dann Madyben und Benny Mae, Benedine Madine und Mady Copeland. Die Kinder, die seinen Namen trugen. Dann jene, die er ermahnt hatte. Aber gab es unter den Tausenden einen Einzigen, dem er seine Mission anvertrauen konnte?
Sein Leben lang hatte er fest daran geglaubt. Er hatte gewusst, wofür er arbeitete, und war ruhigen Herzens gewesen, denn Tag für Tag sah er sein Ziel vor sich. Er ging mit seiner Tasche von Haus zu Haus, redete mit ihnen über alles und klärte sie unermüdlich auf. Abends war er glücklich in dem Wissen darum, einen sinnvollen Tag verbracht zu haben. Auch als Daisy und Hamilton, Karl Marx, William und Portia nicht mehr da waren, schöpfte er Freude aus diesem Wissen, wenn er abends allein am Herd saß. Er trank einen Krug Rübenschnaps, aß ein Stück Maisbrot dazu und fühlte sich zutiefst befriedigt, weil der Tag gut gewesen war.
Wie oft hatte er diese Befriedigung empfunden! Aber
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