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Das Herz ist eine miese Gegend

Das Herz ist eine miese Gegend

Titel: Das Herz ist eine miese Gegend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Köpfe. »Hallo, Arschi, auch wieder da!« schrien sie einem Neuankommenden entgegen. Der schien sich an diesem Spitznamen nicht zu stören und reihte sich lachend in den fröhlichen Pulk.
    Vorsichtig sah Giovanni seine neuen Mitschüler an. Er machte sich am Gepäckträger zu schaffen, damit ihre Aufmerksamkeit nicht auf ihn fiele. Nichts an ihnen war anders; es waren ebenso fremde, verschiedenaltrige Jungen wie dort, wo er herkam. Anders, ganz anders die Mädchen, denn seit Cornelia sah er sie mit neuen Augen. Von unter ihren Kleidern strahlte das Gefühl aus. Als er Arno um die Ecke biegen sah, ging er schnell ins Schulhaus.
    Vor dem Raum der Sieben B stand noch ein Junge so vergessen herum. Alle anderen tollten lärmend hinein oder hängten ihre Jacken betont gleichmütig an die Garderobe, um dann betont gleichmütig an den beiden vorbei in die Klasse zu gehen. Trotz einer gewissen Lässigkeit, die er an den Tag legte, schien der andere das Ignoriertwerden ebenso gewohnt zu sein wie Giovanni. Die Schultasche hinter sich an die Wand gelehnt, schlenkerte er die Jacke am Aufhänger hin und her und hatte den Blick nach innen gewandt. Nichts um sich her schien er zu bemerken.
    Giovanni hatte unbedingt allein gehen wollen. Da seine Mutter genauso schüchtern war wie er, hätte ihre Begleitung alles nur verschlimmert. Sein Vater war Lehrer an dieser Schule, und als Lehrerkind wollte Giovanni nicht den allerersten Auftritt bei seinen Mitschülern haben. Arno und Norbert hatten auch darauf bestanden, allein in die neuen Klassen zu gehen.
    Als es klingelte, eilte ein Mann auf sie zu, sagte: »Ihr seid die Neuen?« und wies sie mit einer Geste in das lärmerfüllte Klassenzimmer. Er zeigte ihnen zwei freie Plätze, einen an der Fensterseite und einen an der Rückwand, und sie verabredeten stumm, wer welchen nähme. Der andere Junge bot Giovanni mit einem Blick den Fensterplatz an. Giovanni nickte und wünschte sich diesen stummen Jungen zum Freund.
    »Guten Morgen, Sieben B«, sagte der Lehrer.
    »Guten Morgen, Herr Krüger«, dröhnte die Klasse im Chor.
    »Ich hoffe, ihr seid alle glücklich, endlich wieder in der Schule zu sein und die langweiligen Ferien hinter euch zu haben.«
    Die Klasse stöhnte. Herr Krüger schien beliebt zu sein.
    »Wir haben zwei neue Mitschüler, würdet ihr euch bitte vorstellen?«
    »Giovanni Burgat«, sagte Giovanni, der mit einem Seitenblick auf den anderen aufgestanden war.
    »Giovanni?« fragte Herr Krüger. »Mir wurde gesagt, du heißt Paul.«
    »Giovanni«, sagte Giovanni. Die Klasse lachte.
    »Bo Pletsky«, sagte der andere.
    Herr Krüger schüttelte den Kopf und schaute von Bo zu Giovanni und wieder zu Bo.
    »Und du heißt auf meinem Zettel Bernward.«
    »Das spricht sich als Bo«, sagte Bo und grinste Giovanni direkt ins Gesicht.
    »Von mir aus«, lachte jetzt auch Herr Krüger, »Giovanni und Bo. Von mir aus. Aber daß ihr jetzt nicht alle auf die Idee kommt, euch neue Vornamen auszudenken. War schwer genug, die alten zu lernen.«
    »Ich möchte Ilse heißen!« schrie ein rotblonder Junge, und Herr Krüger hatte Mühe, die Klasse zu beruhigen.

 
DREI
    Ein Uniformierter zeigte stolz auf die Einschußlöcher in Che Guevara. Die Worte »Blitzkrieg« und »Sechstagekrieg« bekamen einen ganz ähnlichen Klang wie die Worte »prima« und »klasse«. Das Wort »sogenannt« schrieb man am einfachsten in Form zweier Gänsefüßchen. Das Blaupunkt-Radio brauchte eine neue Röhre. Die aufzutreiben war nicht mehr leicht.
      
    Ein Jahr später erinnerte sich Giovanni an diesen Tag als den ersten seiner Freundschaft mit Bo und letzten, an dem er ein Fahrrad besessen hatte. Schon in der großen Pause war es verschwunden gewesen, und schon die Tränen der Wut, die er darüber vergoß, trocknete ihm Bo mit seinem krausen Witz. Die beiden wurden unzertrennlich und von den Lehrern, denen an Abwechslung und Unterhaltung weniger lag, bald auch gefürchtet.
    Arno, der als Austauschschüler in England gewesen war, hatte Platten mitgebracht, die Giovanni hörte, wenn er an den Plattenspieler kam. An den Plattenspieler zu kommen war schwierig. Der Vater hielt ihn verschlossen, und man mußte eine Zeitlang im Garten arbeiten, Gestrüpp wegtragen, Laub verbrennen, Steine aus dem Boden klauben und Unkraut jäten, wenn man ihn haben wollte. Zwei Stunden Gartenarbeit ergaben den Gegenwert von einer Stunde Plattenspieler. Der Plattenspieler mußte pünktlich zurückgegeben werden, da half kein »Nur dieses

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