Das Herz ist eine miese Gegend
seiner Seite schließen konnte.
»Hab Hunger«, sagte er und lud sie zu einer Portion ein. Als Martin unverrichteter Dinge zurückkam, war die Dose leer, und ihm fiel weder die feine Veränderung im Geruchsbild des Kellers noch in der Stimmung der beiden Zurückgebliebenen auf. Und dann trennten sich »Die Zwölf«, denn Martin sollte in der Schreinerei seines Vaters helfen, und Cornelia schob Schularbeiten vor sich her.
Das war seit vier Wochen sein Lieblingshirngespinst. Leider begann es langsam an den Rändern auszufransen. So verlor das Bild, wie auch das Gefühl, dieser süße Krampf unter dem Bauch, an Deutlichkeit. Noch ein, zwei Wochen würde es halten. Höchstens.
»He, Katzist«, schrillte das kleine Stimmchen ganz nah an seinem Ohr. Er schloß die Augen, um besser zu hören, denn jetzt wußte er, daß die Erscheinung unsichtbar war. Er wartete auf den Biß.
»Was hab ich dir denn getan?« fragte er, alle Nerven unter der Haut alarmiert. Doch es kam kein Biß.
»Weil du nämlich deine Scheiß-Katze gelobt hast, das hast du getan«, sagte das Stimmchen, wieder aus einer ganz unerwarteten Richtung.
»Meine Katze gelobt?«
»Deine beschissene Scheiß-Katze gelobt. Fürs Totmachen von mir«, sagte der unsichtbare Mäuserich jetzt direkt vor Giovannis Nase. Er schien also auch fliegen zu können. »Brave Katze, hast du gesagt, brave Katze, hat mir ein Geschenk gebracht. Das war ich, du Arschloch.«
Die Maus schien ihn zu umkreisen, ihre Stimme kam bei fast jedem Wort aus einer anderen Richtung. »Ich hab noch gelebt, und deine brave Katze hat mit mir gespielt, so war das, kapierst du’s jetzt?«
»Tut mir leid«, sagte Giovanni betreten. Die Geschichte verwirrte ihn. Er schämte sich, denn an den Worten der Maus zu zweifeln kam ihm nicht mehr in den Sinn. »Tut mir wirklich leid, Zeppo.«
»Zelko«, schrie das Stimmchen, und jetzt kam endlich der Biß. In die Mitte seines Bauches fuhr ein durchdringender Blitz, und er krümmte sich vor Schmerz und schrie.
»Das wird dir noch mehr leid tun«, rief die Stimme jetzt aus weiterer Entfernung, »noch viel mehr.«
Schon kam der Vater hereingerannt, dicht gefolgt von den Brüdern, auf deren Gesichtern ein begeisterter Ausdruck von Sensationslust lag.
»Was ist los?«
Instinktiv wußte Giovanni, daß Ehrlichkeit das falscheste wäre, und deutete nur auf die Stelle an seinem Bauch, wo der Schmerz gerade nachzulassen begann. Der Vater drückte dran herum, und ein, zweimal sagte Giovanni »Au«.
»Kannst du gehen?« fragte der Vater.
»Ja.«
Als feststand, daß keine Blinddarmreizung vorlag, diagnostizierte der Arzt nervöse Magenkrämpfe. Giovanni wurde in die andere Stadt zurückgeschickt, wo er den Rest der Ferien ein paradiesisches Leben führte. Allein mit seiner Mutter, ohne die Brüder, ohne die stumpfsinnige Graberei und vor allem ohne Zelko. Die Maus schien seinen neuen Aufenthaltsort nicht herausbekommen zu haben. Oder keine Reisemöglichkeit. Er lieh sich Bücher in der Stadtbücherei, die er bei Kerzenlicht im Keller der »Zwölf« las. Nur einmal kam Martin herein, um das französische Buch zu holen. Sie machten nichts miteinander aus, und Martin ging wieder, so schnell er konnte. Ob die Freundschaft nun gelitten hatte, weil Giovanni schon innerlich fortgezogen war oder weil Martin das Geheimnis von Cornelia wußte - es war jedenfalls nicht mehr wie vorher.
Das war Giovanni gerade recht, denn »Don Camillo und Peppone«, das Buch, in dem er las, war viel zu spannend, als daß ein Ritterspiel oder ein kleiner GartenhausEinbruch ihn hätten reizen können. Und andere Ideen hatte Martin nie. Als der Kerzenvorrat aufgebraucht war, las Giovanni zu Hause neben dem Vogelbad im Garten auf dem Bauch liegend weiter.
ZWEI
Das Blaupunkt-Radio sprach den Namen des indonesischen Staatschefs einmal als Sukarno und ein andermal als Suharto aus. Um diese Schlappe nicht zugeben zu müssen, tat es fortan so, als wären das zwei verschiedene. Das Amerika-Haus in Berlin wäre am liebsten im Erdboden versunken, konnte aber nicht. Eine Sache, die man primafand, nannte man »klasse«.
Das Hirngespinst war längst verbraucht, als Giovanni von Cornelias Tod erfuhr. Sie war an einer Blutvergiftung gestorben. Er fühlte sich schuldig, obwohl er wußte, daß man vom Pinkeln keine Blutvergiftung kriegt. Er weinte nachts im Bett um sie und beschwor ihr Bild, aber es kam nicht mehr deutlich vor seine Augen.
In der Schule waren er und seine Brüder nur noch
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