Das Herz kennt die Wahrheit
James. Er fuhr schon mit meinem Vater zur See, als er erst zwölf Jahre alt war. Aber als James und Papa auf See blieben, beschlossen meine Schwestern und ich, die Geschäfte weiterzuführen."
Gryf trank von dem starken Tee und hörte Darcy zu. Er liebte den melodischen Tonfall ihrer Stimme, und der bloße Klang ihres Lachens machte sein Herz leichter, obgleich er nicht wusste, warum. Wenn sie sprach, konnte er den Wind vergessen, der über das Deck heulte, und die Kälte, die ihm unter die Haut kroch. Und er vermochte die Tatsache zu verdrängen, dass er keine Erinnerungen an seine eigene Kindheit hatte. Oder an sein Leben vor dem Feuer. Ihre Stimme erinnerte ihn an den Frühling mit seinen warmen Tagen und lauen Nächten. Und an einen feinen Nebel, der vom Meer herüberwehte und sich wie glitzernde Diamanten auf Haut und Haare legte.
Hatte er sie einst so gesehen? Mit Haaren, die der Nebel befeuchtet hatte, mit Augen, die ihn fröhlich anstrahlten? Oder war all dies nur Einbildung?
Ein Seemann schaute zur Tür herein, und Gryf blinzelte die Bilder fort.
"Captain, Newt sagt, Ihr seid an der Reihe mit dem Steuerrad."
"Aye." Darcy setzte den Becher mit Tee ab und war im Begriff aufzustehen.
Doch Gryf war bereits aufgesprungen und berührte sie am Arm. "Bleib hier in der Wärme. Ich übernehme das Steuer."
"Nein." Sie schob seine Hand zur Seite und eilte zur Tür. Der Hitze, die seine Berührung ausgelöst hatte, schenkte sie keine Beachtung. "Das ist meine Aufgabe."
Sie wollte ihm nicht zu Dank verpflichtet sein. Wie einfach wäre es gewesen, seine Hilfe anzunehmen. Doch sie wollte und musste allein zurechtkommen. Ihren eigenen Weg gehen. Es war für sie so wichtig wie das Atmen. Und sie hatte nicht die Absicht, sich von irgendeinem Mann, schon gar nicht von Gryf, in Sicherheit wiegen zu lassen.
"Schaut her, Fielding." Whit hielt ein kleines Stück Fleisch hoch und befahl Furchtlos, sich zu setzen. Sogleich hockte der Welpe sich hin, wobei sein Schwanz unaufhörlich über die Planken wedelte.
Während der letzten Tage hatte sich die Mannschaft bei dem zunehmend schlechten Wetter unter Deck begeben, wann immer es die Arbeit zuließ. Abgesehen vom Glücksspiel war der Welpe zum festen Bestandteil der Unterhaltung geworden.
"Dreh dich auf den Rücken, Furchtlos."
Der Welpe tat, wie ihm geheißen, und wurde mit dem Fleischstück belohnt.
Whit nahm ein zweites Stückchen. "Furchtlos, mach bitte."
Der kleine Hund stellte sich gehorsam auf die Hinterbeine und wartete auf die Belohnung.
"Nicht schlecht, Junge. Jetzt sieh dir das an." Der Koch zwinkerte den anderen zu und stampfte mit dem Fuß auf.
Sofort verkroch der Welpe sich hinter Whit, während die Mannschaft in schallendes Gelächter ausbrach.
"Ich glaube, wir sollten ihn von nun an nicht mehr Furchtlos, sondern Angsthase nennen. Dieser Hund hat Angst vor seinem eigenen Schatten."
"Hat er nicht", entgegnete Whit verärgert. Er hob den winselnden Welpen hoch und drückte ihn an seine Brust. "Ihr habt ihm Angst eingejagt."
"Ja. Aber Angsthase fürchtet sich vor so vielen Dingen. Vor dem Wind. Vor den flatternden Segeln. Vor Schritten. Vermutlich duckt er sich sogar, wenn einer von uns hustet. Wann wird er endlich seinem Namen alle Ehre machen, Junge?"
"Lasst ihm Zeit." Whit vergrub sein Gesicht im Nacken des Hundes und atmete den Duft des Fells ein. "Er wird es lernen. Er hat doch auch verstanden, dass er nicht mehr auf allem herumkauen darf, oder etwa nicht?"
Einer der Seeleute nickte und fügte hinzu: "Ist auch besser so, Junge, denn sonst würde er längst zurück nach Schottland schwimmen."
Die anderen bogen sich vor Lachen.
"Hat er nicht auch gelernt, sein Geschäft nur in seinem Bereich zu machen?"
"Das stimmt. Das ist das Beste, was er gelernt hat." Fielding schaute die anderen an, die lachend nickten. "Was für eine Erleichterung, dass wir jetzt wieder des Nachts über das Deck gehen können und uns keine Sorgen mehr zu machen brauchen, wo wir reintreten. Was, Leute?"
Während die anderen kicherten, beugte sich ein grauhaariger Seemann zu Whit hinüber und flüsterte: "Sie treiben bloß ihren Spaß mit dir. Sie hätten alle gerne ein so liebes Tierchen wie deinen Furchtlos."
Der Junge warf ihm ein Lächeln zu, ehe er sich für die Nacht in seine Hängematte begab. Als der Welpe sich an seine Brust kuschelte, begann Whit über die Worte des Seemanns nachzudenken. Ja. Furchtlos gehörte ihm. Nur ihm. Niemand sonst könnte je Anspruch
Weitere Kostenlose Bücher