Das Herz meines Feindes
ablehnte. Seit sie ihn des Mordes angeklagt und eingesperrt hatte, war sein Misstrauen ihr gegenüber noch stärker gewor den. Als Herrin von Orrick brachte sie das in eine missliche Lage. Eigentlich wäre es ihre Pflicht gewesen, die Spannun gen zwischen ihnen abzubauen. Aber unwillkü r lich ärgerte sie sich über die Art und Weise, wie er sich darum bemühte, sie in ihrem eigenen Haus herab zuwürdigeri.
»Was für eine Parade?« fragte sie und ignorierte Dünn, in dem sie Corbett direkt ansah.
Er warf ihr einen langen, nachdenklichen Blick zu, bevor er an t wortete. »Heute entscheiden unsere Truppen, wem ihre Treue gilt. Und ob sie weiterhin als Wachleute oder als Bauern arbeiten wollen.«
Er hatte ihr das schon einmal erzählt; sie wusste, dass es zwecklos war, sich weiterhin zu ärgern. Doch als sie bemerk te, wie sich Dunns mürrisches Gesicht zu einem schwachen, selbstgefälligen Lächeln verzog, konnte sie ihren Zorn nicht mehr bremsen.
»Ob du es wirklich nur auf die Wachen beschränken soll test?« fragte sie scharf. »Vielleicht kommt ja der Stallknecht auf die Idee, deinen geliebten Pferden ein Leid anzutun, oder der Koch könnte dir irgendwie verdorbenes Essen servieren. Der Himmel weiß, ich könnte mir eine Menge anderer schlau er Methoden ausdenken, um dich zu ärgern. Solltest du mir nicht vielleicht ebenfalls einen Treueid abverlangen?«
Obwohl Corbetts Gesicht sich verhärtet hatte, waren seine Worte spöttisch. »Ich erinnere mich daran, ein solches Ver sprechen vor wenigen Minuten erhalten zu haben. Pflegst du dein Wort so schnell zu brechen?«
Sein berechtigter Spott brachte sie sofort zum Schweigen. Er musste sie nicht daran erinnern, dass das Baby Elyse nur aufgrund seiner Zustimmung bleiben durfte. Aufs neue enttäuscht hob sie ihr Kinn und starrte ihm mit schlecht ver hehlter Feindseligkeit ins Gesicht.
»Dann sei so gut und kümmere dich um deine Pflichten. Ich habe noch einiges für das Kind zu erledigen.« Sie trat zu rück in der Absicht, der unerträglichen Gesellschaft dieser Männer zu entkommen. Aber Corbett packte ihre Hand.
»Es besteht keine Veranlassung, das Kind in unserem Ge mach schlafen zu lassen.« Obwohl er sonst nichts sagte, ließ sein energ i scher Blick keinerlei Zweifel an der Bedeutung seiner Worte aufkommen.
Unter Aufbietung ihrer ganzen Selbstbeherrschung ge lang es Lilliane, eine wütende Antwort herunterzu schlucken. »Nein«, murmelte sie, als sie ihre Selbstbeherr schung wiedererlangt hatte. »Sie wird bei ihrer Amme schlafen.«
Beide Männer sahen ihr nach, als sie davoneilte. Sie hegte keinerlei Zweifel, dass Dünn seinem Misstra u en, das er gegen sie hegte, nun freien Lauf lassen würde. Sollte er doch! Sie vertraute ihm auch nicht besonders, obwohl er sich am Tod ihres Vaters als unschuldig erwiesen hatte.
Und was Corbett betraf, wusste Lilliane nicht, was sie den ken sollte. Im ersten Moment aufmerksam und liebevoll; im nächsten kalt und unnachgiebig. Er brachte einen schier zur Verzweiflung. Doch jetzt hatte sie Elyse. Sollte Corbett die Wachen veranla s sen, ihm Treue zu schwören. Sollte er ihr doch auf Schritt und Tritt misstrauen, er hatte ihr zumindest ihre Bitte nicht abgeschlagen. Sie verlangsamte ihren schnel len Schritt und holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Sie musste sich anstrengen, ihr hitziges Temperament zu zügeln, zumindest in seiner Gegenwart. Es war offensichtlich, dass sie keinen offenen Willenskampf mit ihm gewinnen konnte. Ob im Schloss oder in ihrem Privatgemach, er war unweiger lich Sieger.
Doch auch sie besaß Stärke, wie sie sich jetzt ins Gedächt nis rief. Sie würde ihm nicht sämtliche Autorität überlassen. Zumindest die Haushaltsang e legenheiten würde sie so regeln, wie sie es für richtig hielt. Selbst Dünn würde nicht mehr in der Lage sein, Corbett zu beeinflussen, wenn sie be schloss, ihren stattlichen Gatten so zu bezaubern, dass er die Dinge mit ihren Augen sah.
Dieses Wissen hob ihre Stimmung wieder, und sie lächel te trotz der schweren Erfahrungen der vergangenen Tage. Ihr Leben schien sich jetzt täglich zu verändern, aber vielleicht war das ja nicht ganz so schlimm.
Sir Dünn war nicht so guter Stimmung wie Lilliane.
»Wie schnell sie dich von deinen Aufgaben ablenkt«, warf er Corbett vor, der Lilliane hinterher blickte, als sie über die Steinstufen entschwand.
Aber Corbett war zu zufrieden, um den Köder seines Freundes zu schlucken. »Es ziemt sich nicht für einen Mann, seine
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