Das Herz meines Feindes
das Baby von hier weg. Sie braucht eine Amme, die sie ernährt, aber zunächst einmal solltet Ihr sie in Euer Gemach mitnehmen.«
Lilliane war viel zu betäubt, um protestieren zu können. Als Ferga sie am Arm nahm und sie aus dem Zimmer führte, folgte sie ihr ohne zu widersprechen. Als sie durch die große Halle gingen, näherte sich William. Sein Stubenarrest war um Lady Verones Willen aufgehoben worden, obwohl Cor bett, wie Lilliane wusste, es vorgezogen hätte, ihn ganz aus Orrick zu verbannen. William sah verdrossen aus.
»Sie hat mir also eine Tochter geboren«, bemerkte er und warf nur einen flüchtigen Blick auf das gew i ckelte Kind.
»Ja«, flüsterte Lilliane und blickte ihn aus träne n verschlei erten Augen an. »Du hast eine Tochter, aber…« Ihr versagte die Stimme, dann legte sie ihre Hand auf Williams Arm. »Verone ist von uns gegangen, William. Es tut mir so leid, aber sie ist bei der Geburt gestorben.«
William schwieg, und seine Augen starrten mit leerem Blick durch die ruhige Halle. Dann fiel sein Blick wieder auf Lilliane. »Hat sie dich gefragt?«
»Das Kind aufzuziehen?« Bebend holte Lilliane Atem, dann nickte sie und betrachtete die kleinen Züge des Kindes.
»Und wirst du es tun?« bohrte er.
»Natürlich.« Lilliane blickte ernst zu William hinauf. »Es sei denn, du möchtest sie anderswo großziehen lassen.«
»O nein. Nein. Wenn es Verones Wunsch war.«
Lilliane hatte so viel Erleichterung angesichts seiner Zu stimmung nicht erwartet. Sie zog das Kind dichter zu sich heran. »Ich werde sie wie mein eigenes Kind aufziehen. Sie wird zu einer feinen Dame hera n wachsen. Du wirst schon sehen.«
»Wenn dein Mann es gestattet«, warf William mit sarka stischer Stimme ein.
Diese Bemerkung bereitete Lilliane auch eine Stunde spä ter noch Sorgen. Sie hatte das Kind unter Fergas Obhut in ihrem Gemach gelassen. Nachdem sie ihre Anweisungen gege ben hatte, wie mit Verones Leichnam zu verfahren sei, hatte sie sich eilig gewaschen und gekämmt. Corbett würde bald zurückkehren, und sie wusste, dass es nicht leicht sein würde, seine Erlaubnis zu bekommen, die kleine Elyse zu behalten.
Lilliane hielt inne, als sie an das arme Kind dachte. William hatte mit keinem Wort nach dem Wohlb e finden seiner Tochter gefragt, er hatte sich noch nicht einmal nach ihrem Namen erkundigt. Erregt drehte sie die Enden ihres Gürtels zusammen, als sie über die ganze Situation nachdachte. Es stimmte, dass er gerade seine Gattin verloren hatte. Sie hatte gehört, dass einige Männer das Kind für den Tod der Mutter verantwortlich machten. Aber diese Härte war unverzeih lich. Als sie an das winzige, faltige Gesicht dachte, das so un schuldig aussah, konnte sie Williams Kälte dem Kind gegen über einfach nicht gutheißen.
Doch ihre Gedanken wurden schnell von Williams Man gel an Gefühl für seine neugeborene Tochter abgelenkt. Von ihrem Platz in der Nähe des Feuers in der großen Halle konnte sie deutlich den Klang schwerer Hufe auf dem gepflasterten Hof verne h men. Corbett und seine Ritter waren zurückgekehrt. Ihr Herz begann zu rasen, als sie darüber nachdachte, wie sie ihrem Gatten dieses heikle Thema unter breiten konnte.
Und auch die Erinnerung an ihre leidenschaftliche Liebe in der vergangenen Nacht erleichterte ihr diese Aufgabe kei neswegs. Sie hatte seitdem nicht mit ihm gesprochen, denn sie war früh aufg e standen, um sich um Verone zu kümmern. Jetzt, als er voller Selbs t vertrauen über den glatten Steinbo den auf sie zuschritt, spürte sie, wie ihre Wangen von einer zarten Röte überzogen wurden.
»Ah, das wünscht sich doch jeder Mann. Am Abend wer de ich von meiner lieben Gemahlin empfangen.« Corbett grinste sie trocken an, dann führte er ihre Hand lässig an die Lippen. »Sicherlich eine Verbe s serung gegenüber der Begrü ßung, die mir gestern zuteil wurde.«
»Mein… mein Herr«, begann Lilliane, und die Stimme versagte ihr.
»Ich besitze einen Namen. Willst du ihn nicht benutzen?« Sein Gesicht war halb ernst, halb spöttisch, als er ihre Wange mit einem Finger streichelte. Aber er blickte besorgt drein, als er die Trauer in ihren Augen entdeckte. »Was bekümmert dich, Lily? Muss deine Freundin immer noch leiden?«
»Meine Freundin… Lady Verone hat nun alles Leiden hinter sich. Ihr mutterloses Kind ist es, das…« Lilliane konn te nicht weiterspr e chen. Sie wandte sich um, um ihre Tränen vor Corbett zu verbergen, er aber nahm sie bei den Schultern und zog sie an
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