Das Herz meines Feindes
was sagt… und wessen Wort man an diesem Ort trauen kann«, stimmte Corbett zu.
In seiner Stimme schwang ein merkwürdiger Unterton, und einen Augenblick lang fürchtete Lilliane, dass er ihr viel leicht nicht glauben könnte. Doch als sie ihren angstvollen Blick auf ihn richtete, schien er mit ihrer Erklärung durchaus zufrieden zu sein. Sie war außero r dentlich erleichtert, als er ihr aufs Pferd half und dann sein eigenes Ross bestieg. Sie war nur allzu glücklich, London zu verlassen, und sie hoffte, dass ihre Anwesenheit hier für geraume Zeit nicht mehr von nöten sein würde.
Trotz der Kälte, die eine frische Brise mit sich brachte, war das Wetter schön. Das Land lag still und brach, das Korn war schon vor langer Zeit geerntet, die Aussaat würde erst in ein paar Monaten erfolgen. Hirten, die ihre Schafe hüte ten, durchstreiften die weitlä u figen Wiesen, damit ihre wol ligen Schüt z linge nach dem immer spärlicher werdenden Futter suchen konnten. Holzfäller hatten ihre Ochsenkarren in die Wälder gefahren und nutzten nun das milde Wetter aus, bevor der nächste Wintersturm einsetzen würde. Ihre Kinder sammelten Zweige und Äste zum Feuermachen und rannten aufgeregt auf die Straße zu, als sie die Karawane der Ritter vorbe i ziehen sahen. Scheu verbargen sie sich hinter Büschen und Bau m stümpfen, bis sie bemerkten, dass Lilliane ihnen freundlich zuwinkte und lächelte. Dann tollten sie wie kleine Kätzchen hervor, stolperten, rannten, rempelten einander an, um einen besseren Blick auf die feine Dame und die grimmigen Ritter werfen zu können.
Corbett schwieg während des Ritts, er schien in seine Ge danken versunken zu sein. Lilliane fühlte sich wegen ihrer kleinen Lüge immer noch schuldig, und sie war beinahe erleichtert, nicht an seiner Seite reiten zu müssen.
Sie machten Rast auf einem Feld, das hinter St. Albans lag, dann ritten sie weiter, denn man wollte Woburn beim Einbruch der Nacht erreichen. Im Verlaufe des Nachmittags begannen sich im Westen die Wolken zu sammeln. Obwohl es nicht regnen würde, wurde der Wind schärfer, und die Dunkelheit schien schneller als sonst hereinzubrechen.
Sie reisten über eine enge Straße, die durch den Wald ging. Lilliane erinnerte sich, dass genau hinter der nächsten Wegbiegung eine Steinbrücke über den Strom führte. Dann war es nicht mehr weit bis zur Abtei von Woburn. Sie dachte gerade über eine warme Mahlzeit und ein weiches Bett nach, als sie von Rufen und lauter Bewegung hinter sich aufge schreckt wurde.
Alles geschah so schnell, dass sie es kaum b e merkte. Sie hörte Corbetts bellenden Ruf: »An die Waffen! An die Waf fen!« Dann wurden ihr plötzlich die Zügel aus der Hand ge rissen, und sie war von Rittern umgeben. Eine kräftige Hand zwang sie, sich dicht über den Nacken des verängstigten Zelters zu beugen, und im Gedränge aus Pferden, Knien und erhobenen Schilden konnte sie nichts erkennen.
»Bleibt unten, Mylady! Bleibt unten!« befahl jemand. Aber Lilliane war viel zu entsetzt, um zu gehorchen. Von Wachen umgeben war sie wohl sicher genug. Aber Corbett war nicht unter ihnen. Seine Stimme drang klar und laut an ihr Ohr. Er rief kurze Befehle. Dann wurde seine Stimme durch das Klingen von Metall gegen Metall – Klinge gegen Klinge Strei t kolben gegen Schild – übertönt. Vergeblich bemühte sie sich, ihn zu sehen, sich davon zu überzeugen, dass er in Si cherheit war. Aber sie konnte nur das Gewühl von Männern auf Pferderücken ausmachen. Durch den Staub waren sie kaum noch zu erkennen, und jeder von ihnen konnte Freund oder Feind sein.
Dann sah sie ihn, groß und furchteinflößend, mitten im dichtesten Gewühl des Kampfes. In einer Hand schwang er seine lange Stahlklinge mit wütender Unerbittlichkeit, wäh rend die andere das Schild fast wie eine Waffe handhabte. Ein bewaf f neter Ritter griff ihn von der Breitseite her an, aber bevor der Mann noch zuschlagen konnte, rammte Cor betts großes Schlachtross die Brust des anderen Pferdes mit seiner Schulter. Mit einem schrecklichen Hieb trennte Cor bett den Arm des taumelnden Mannes von dessen Schulter, und der schreiende Angreifer fiel unter die Hufe des Kriegs rosses.
Sofort erfolgte ein weiterer hinterhältiger Angriff auf Cor betts Rücken. Aber wie ein Teufel, der auch am Hinterkopf noch Augen hat, zog Corbett sein Ross plötzlich nach links, dann ließ er sein Schwert zurückschnellen. Es folgte ein plötzlicher Schme r zensschrei, aber der verlor sich schnell in
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