Das Herz meines Feindes
sie eine warme Strickdecke um das Kind.
»Ich nehme sie mit an die frische Luft«, rief sie Ferga zu, die damit beschäftigt war, ein Kleidchen für das schnell wachsende kleine Mädchen zu nähen.
»Bei dieser Kälte?«
»Im Sonnenschein an einer windgeschützten Stelle ist das Wetter sogar recht schön«, gab Lilliane zurück. »Außerdem wird ihr die Luft gut tun und ihre Wangen röten.«
Die Luft war kalt, aber frisch und klar; die Sonne tauchte den Schlosshof in ein goldenes Licht, und Lilliane liebte ihn nach den düsteren Tagen der jüngsten Vergangenheit um so mehr. Sie nahm Elyse schützend in die Arme und flüsterte ihr süße Lieder ins Ohr, während sie langsam der Kastanie entg e genstrebte, die jetzt keine Blätter mehr hatte.
»Vielleicht lasse ich eine Schaukel hier am Baum für dich anbri n gen«, gurrte sie und strich dem Kind eine dünne Haarsträhne aus der Stirn. Dann lachte sie, denn der ernste Blick des Babys verwandelte sich in ein lustiges, zahnloses Grinsen.
Von der Brustwehr in der Nähe des Tores aus konnte Cor bett Lilliane deutlich erkennen. Er war sich nicht bewusst, sich bei ihrem Anblick mitten im Satz unterbrochen zu ha ben, aber Dünn entging nicht, was seinen Freund beschäftig te.
»Sie ist das Idealbild einer Mutter«, bemerkte Dünn mit einer Grimasse, während er das Spiel der Gefühle auf Cor betts Antlitz beobachtete. »Oder beschäftigen dich andere als nur ihre mütterlichen Qualitäten?«
Zögernd riss Corbett seinen Blick von Lillianes schlanker Gestalt fort und warf Dünn einen dunklen, grimmigen Blick zu. »Du vergisst dich. Sie ist meine Frau, nicht irgendeine Dienstmagd, über die du deine Witze machen darfst.«
Bei dieser ruppigen Antwort krähte Dünn vor Lachen.
»Du bist wirklich schlimmer dran, als ich je gedacht hätte. Ich spreche von ernsten Dingen wie Verrat, und du knurrst wie ein eifersüchtiger Hund! Bedeutet das, dass du deinen tö richten Verdacht aufgegeben hast?«
Corbetts Kiefer arbeitete, und er runzelte vor Verärgerung die Stirn. »Was redest du nur für einen Unsinn. Du hast doch genug Anlass, um ihr zu misstrauen. Du weißt doch genauso gut wie ich über ihre Verbindung zu William und ihr Wissen um die Angelegenheiten des Königs Bescheid.«
»Ich weiß mehr als du«, schnaubte Dünn. »Aber nur, weil ich noch alle fünf Sinne beisammen habe, während du die deinen eindeutig verloren hast.« Dann veränderte sich seine Stimme. »Sie ist unschu l dig, Corbett. Ich habe daran keiner lei Zweifel.«
Es entstand eine lange Pause, in der beide Männer auf die Frau und das Kind im Hof blickten. »Sie ist eine leiden schaftliche Frau«, begann Corbett. Dann hielt er inne und schüttelte langsam den Kopf. »Sie hat mich hart bekämpft, weil sie mich für ihren Feind hielt. Sie hat dich in den Kerker geworfen, weil sie glaubte, dass du ihren Vater ermordet hast. Sie hat das Schloss befestigt, weil sie sicher war, dass ich hinter Lord Bartons Ableben steckte.«
Sein Antlitz begann sich bei dieser Erinnerung zu entspannen, doch dann verkrampfte er sich wieder. »Wenn sie mit William unter einer Decke steckt, dann muss ich glauben, dass sie alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um ihm zu helfen. Und damit ist sie eindeutig gegen meinen König. Und gegen mich.«
»Was, wenn sie doch unschuldig ist?«
»Dann ist es gut«, antwortete Corbett langsam.
»Ja, vielleicht. Aber ich sehe, wie du sie behandelst. Sie wird die Belastung der vergangenen Wochen nicht so leicht vergessen.«
»Vergessen bringe ich ihr jede Nacht!« antwortete Corbett scharf, eindeutig verärgert über diese Wendung in ihrer Un terhaltung.
Aber Dünn war wie ein eigensinniger Jagdhund, der einen Knochen gefunden hat; er würde ihn um keinen Preis fallen lassen. »Sie ist als Lady erzogen worden, deshalb wird ihr das nicht genug sein. Wenn du sie wie deine Lieblingshure be handelst, verspielst du die Chance, ihre Liebe zu gewinnen.«
Corbett wandte abrupt seinen Kopf, um Dünn anzusehen. »Was hat Liebe mit der ganzen Sache zu tun? Ich habe sie wegen ihres Erbes geheiratet. Das weiß sie. Liebe war nie mals im Spiel!«
Dünn antwortete nicht auf Corbetts heftige Worte. Statt dessen wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Aufgabe zu, den quietschenden Mechanismus der Zugbrücke in Ord nung zu bringen. Aber er blickte belustigt drein, als er beob achtete, dass Corbett seine hübsche Frau immer noch anstarrte.
In dieser Nacht kam Corbett nicht.
Lilliane lag in ihrem
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