Das Herz meines Feindes
würde. Und Corbett war sicherlich ein Mann, der seine Macht genoss.
Aber er hatte keinen Anteil am Tode ihres Vaters, sagte sie sich streng. Er war eines natürlichen Todes gestorben, was der alte Thomas bestätigt hatte. Was zwischen den bei den Brüdern vor sich ging, war ihr ein Rätsel. Sie würde ein fach nur weiter an ihrem Mann festhalten müssen.
Müde rieb sich Lilliane den Rücken. Es war ein langer Tag gewesen, und die abendlichen Festlic h keiten lagen noch vor ihr. Es waren nur noch zwei Tage bis Weihnachten. In die sem Augenblick verlor Lilliane jegliche Freude an dem Fest. Sie war von den Vorbereitungen erschöpft und der endlosen Intrigen unter den Adeligen überdrü s sig. Mehr als alles wünschte sie sich, dass alle einfach abreisten und sie und Corbett auf Orrick allein ließen. Sie hätten vielleicht eine Chance, wenn Hughe und all die anderen von Orrick fort wären. Dann konnte sie Corbett von dem Kind erzählen, und sie würden schließlich glücklich miteinander.
Kurze Zeit später war die Tafel am Kopf der großen Halle voll besetzt. Hughe, Odelia und Aldis, Tullia und Santon und Sir Gavin schlössen sich ihnen ebenso an wie der Earl of Gloucester, einer der Männer also, die König Edwards Kron rat angehörten. Die Sitzor d nung hatte Lilliane ziemlich er staunt, aber sie war erleichtert, als sie feststellte, dass Sir Ga vin Odelia bezauberte und sowohl Corbett als auch Hughe von dem Earl of Gloucester unterhalten wurden. Als das Mahl dann aufgetragen wurde, entspannte sie sich.
»Wie sehr wünschte ich doch, dass Vater hier wäre«, sagte Tullia wehmütig. »Alles hat sich so entwickelt, wie er es ge hofft hat.«
Lilliane drückte die Hand ihrer Schwester. »Du hast die ganze Zeit gewusst, dass er das hier geplant hat?«
»Ich wusste, dass du und dein Mann auf Orrick herrschen würden. Deshalb war er bei der Wahl deines Gemahls so unbeugsam.«
»Aber er kann doch nicht die ganze Zeit über gehofft haben, dass mein Verlöbnis mit Corbett doch noch zur Eheschließung führen würde.«
»Nein, vielleicht nicht. Aber er hat das Haus Colchester niemals wirklich gehasst. Selbst nachdem sie soviel Unheil über Orrick gebracht haben, hat er ihre Motive, den Tod ihres Vaters rächen zu wollen, immer respektiert.«
»Aber sie haben ihn doch fälschlich angeklagt«, beharrte Lilliane.
»Ja, ich weiß. Aber das ist jetzt alles Vergangenheit. Dir bleibt jetzt nur noch die Aufgabe, Orrick einen Erben zu gebären.«
»Dann wird unser Vater wohl bald sehr zufrieden sein«, bekannte Lilliane flüsternd.
»Oh! Ich wusste es! Ich wusste es einfach!« rief Tullia so laut aus, dass Corbett und Santon neugierig zu ihnen hin überblickten. Schnell fasste sich Tullia wieder, aber ihr strahlender brauner Blick floss über vor Glück für ihre Schwester. »Hast du es ihm schon gesagt?«
Lilliane biss sich auf die Lippen und warf ihrem gutaussehenden Gatten einen Blick zu. Er unterhielt sich mit Hughe, und die Szene schien sehr friedlich zu sein. Aber sie wusste, dass immer noch viel unter der Oberfläche brodelte, denn diese festliche Zusa m menkunft hier war kein Zufall. Sie schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe es noch niemandem außer dir erzählt.« Dann blickte sie Tullia au f merksam an. »Versprich mir, dass du dieses Geheimnis zunächst für dich behalten wirst.«
»Natürlich tue ich das. Aber du solltest Odelia ebenfalls davon erzählen.«
»Odelia? Sie hat nicht allzu viel für mich übrig. Sie und Al dis wären wahrscheinlich sogar ziemlich verärgert, wenn sie ihr Recht auf Orrick noch weiter ausgehöhlt sähen.«
Tullia zuckte die Achseln. »Vielleicht war das früher ein mal so. Aber Aldis hat viel von Corbetts Verbindungen zu König Edward erfahren. Er ist klug genug, um die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind. Außerdem scheint sein Vater ihm nun bereitwilliger einige der verantwortungsvolleren Aufgaben auf Gaston zu übertragen. Außerdem«, fügte Tullia mit einem verschwörerischen Lächeln hinzu, »ist Odelia ebenfalls in Umständen. Aber lass dir nicht anmerken, dass ich es dir gesagt habe!«
Drei kleine Vettern, geboren von drei Schwestern. Lilliane lächelte bei dem Gedanken an die drei Familien, die viele solche Feste wie dieses mite i nander feiern sollten. Als Sir Hughe sich früh vom Tisch zurückzog, schien das ein gutes Omen zu sein. Diejenigen, die jetzt in der großen Halle zu rückg e blieben waren, waren allesamt gutmütig und eine fröhliche Gesellschaft. Vor
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