Das Herz meines Feindes
hatte geglaubt, dass Orrick niemals ihr Zuhause sein würde.
Aber die Vorbereitungen für diese langen Fes t lichkeiten waren eine ganz andere Sache. Sie war entschlossen, jede Stunde der Wei h nachtsfeierlic h keiten zu genießen: das Fest selbst, die Spiele, die Vergnügungen, die Geschenke. Die Furcht, die sie in dem Gewühl Londons beschlichen hatte, war ihr hier vollkommen unbekannt, denn hier war sie auf ihrem Heimatboden. Jetzt war sie auf Orrick.
Erst nach dem Fest des heiligen Thomas waren Lilliane die ersten Bedenken wegen der Festlichke i ten gekommen. Corbett hatte die männlichen Gäste schon zu früher Stunde in die winterlichen Wälder mit auf die Jagd genommen. Die meisten der Ladys nutzten diese winterliche Gnadenfrist von ihren eigenen hausfraulichen Pflichten und blieben lange im Bett liegen. So kam es, dass Lilliane allein über ihren Küchenbüchern saß, als der Kammerherr die Ankunft eines weiteren Gastes ankündigte.
Lilliane eilte in den Schlosshof, als das kleine Gefolge von Rittern die Brücke überquerte, aber als sie Sir Hughe of Col chester erkannte, begann ihr Lächeln zu verblassen. Doch konnte sie nichts anderes tun, als ihn – trotz der instinktiven Abne i gung, die sie für diesen Mann empfand – so herzlich wie möglich zu begrüßen. Und obwohl sie sich über Cor betts seltsames Interesse für jede Bewegung seines Bruders Gedanken machte, hoffte sie trotzdem, dass ihr Gatte bald zurückkehren und sie vor jeder langen Unterhaltung mit dem unheiml i chen Sir Hughe bewahren möge.
»Ich heiße Euch willkommen, Sir Hughe.« Sie verbeugte sich, als er abstieg und seine Zügel achtlos einem wartenden Pferdeknecht zuwarf.
»Was ist das!« rief er mit einer Freundlichkeit, die sich keineswegs in seinen verengten Augen widerspiegelte. »Ich bitte dich, begrüße mich als liebende Schwägerin, Lilliane.« Mit diesen Worten umarmte er sie kräftig und küsste sie hart auf den Mund.
Lilliane war mehr als entsetzt über die unerwünschte Ver traulichkeit, die er an den Tag legte. Ziemlich erschrocken machte sie einen Schritt zurück und warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Aber Hughe schien entschlossen zu sein, ihr seine Freundschaft zu erweisen.
»Sei doch nicht so schockiert, meine Liebe. Trotz allem, was zwischen unseren Häusern geschehen ist, bin ich sicher, dass Orrick und Colchester jetzt Frieden wahren werden. Nun, fast wird es so sein, als wären wir ein großes Anwe sen.« Er grinste.
»Ja, so soll es sein«, stammelte Lilliane, die mittle r weile si cher war, dass er irgend etwas im Schilde führte. Corbett und Hughe waren weit davon entfernt, liebende Brüder zu sein. Weder Corbetts Versuch, ein gelegentliches Interesse an Col chester an den Tag zu legen, noch Hughes unerwartete Freundlichkeit Orrick gegenüber konnten das verbergen. Aber Lilliane war jetzt neugierig.
Als Hughe sich nach einigen der Gäste erkundigte und schließlich nach William of Dearne fragte, steigerte sich ihre Neugierde nur noch.
»William ist nicht hier«, murmelte sie, als sie ihm in der großen Halle einen Krug Bier anbot.
»Ach nein?« Gedankenverloren schwenkte Sir Hughe das dunke l braune Bier in dem Krug umher. Dann hob sich sein wachsamer Blick zu ihr. »Ich bin überrascht, dass er überhaupt eingeladen wurde. Manche sagen, dass er auf die Vergnügungen auf Orrick ganz verzichten wird.«
Er wollte Neuigkeiten von ihr erfahren. Lilliane war sich dessen sicher. Nun, das wollte sie auch, gestand sie sich selbst ein. Es konnte recht aufschlussreich sein, weiterhin mit Sir Hughe Konversation zu betreiben.
»Oh, ich bin sicher, dass er kommen muss.« Sie spielte mit ihrem schweren Meridian-Ring und täuschte dann ein schwa ches, wissendes Lächeln vor. »Immerhin ist seine Tochter Ely se immer noch auf Orrick.«
»Aber nicht mit seiner Zustimmung. Ich hörte, dass Cor bett William ziemlich rücksichtslos behandelt hat.« Diesmal lächelte er. »Und dich ebenso.«
Lilliane konnte weder das Stirnrunzeln noch die Röte, die ihre Wangen überzog, verhindern. Wusste denn das ganze Königreich von Williams Lügen und Corbetts Verdächtigun gen? Flüsterten vielleicht sogar in diesem Augenblick die La dys in ihren Gemächern darüber? Und machten die Männer rohe Witze auf Kosten ihres Rufes?
Sie schluckte die zornigen Worte, die ihr auf die Lippen kamen, herunter und stellte sich ihrem Peiniger, der ein aus drucksloses Gesicht zur Schau stellte. Offensichtlich hatte er Freude an den
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