Das Herz meines Feindes
ist er wohl kaum von weit her angereist«, warf Aldis in schneidendem Ton dazwischen.
»Sein Aufenthalt auf Colchester war nur von kurzer Dau er. Ich bezweifle, dass Hughe seinem jüngeren Bruder einen herzlichen Empfang bereitet hat.«
»Also hat er sich eiligst hierher begeben?« warf Lilliane ein. »Nun, genauso leicht kann er auch von hier wieder auf brechen.«
»Er bleibt! Und wenn Tullia seinen Bedürfnissen als gute Schlos s herrin nicht nachkommt, dann fällt diese Aufgabe eben einer von Euch beiden zu.«
»Mich brauchst du dabei nicht anzusehen«, zischte Odelia. »Ich bin jetzt hier nur noch Gast. Du hast sehr deutlich ausgesprochen, dass Lilliane und ihr Mann auf Orrick herr schen werden. Soll sie doch ihren Bräutigam versorgen«, sagte sie voller Hohn.
Lilliane war so verblüfft über die Gehässigkeit in ihrer Stimme, dass sie sprachlos war. Lord Barton war ebenso er starrt. Als Odelia davon stürmte, ihren Mann im Gefolge, wandte sich der alte Baron seinem ältesten Kind zu. »Dann fällt diese Aufgabe dir zu. Ich vertraue darauf, dass du weder mich noch Orrick durch einen kindischen Temperaments ausbruch beschämen wirst.«
»Du findest es kindisch, dass ich zornig bin, weil du mich mit unserem Feind verheiraten willst? Nun, ich werde für seine Bedürfnisse sorgen«, erwiderte sie scharf. »Ich werde dafür sorgen, dass sein Bad vorbereitet wird. Aber wenn er einen herzlichen Willkommensgruß erwartet, wird er ent täuscht sein.«
Aber ihr Vater zuckte angesichts ihrer scharfen Worte nur die Achseln. »Er ist ein Mann. Es ist unwahrscheinlich, dass die Launen einer Frau ihn aus der Ruhe bringen.«
Die Tatsache, dass ihr Vater über ihre Gefühle so einfach hinwe g ging, schien Lilliane das Herz zu durchbohren. Sie musste sich auf die Lippen beißen, damit ihre Stimme nicht zitterte. Mit einem g e zwungenen Lächeln drückte sie Tullia leicht an sich. »Sorge dafür, dass Magda das Wasser erhitzt, und lass den größten Zuber und frisches Leinen holen. Ich werde gehen und ein entsprechendes Gemach vorbereiten.«
»Ich habe Thomas bereits befohlen, das Tur m zimmer für ihn vorzubereiten«, bemerkte Lord Barton, als sich die bei den Frauen zum Gehen wandten.
»Was?« Lilliane wirbelte herum und starrte ihn an. »Du hast ihm das Turmzimmer gegeben?« Entsetzen und Unglauben spiegelten sich in ihren Augen.
»Bin ich nicht immer noch der Herr dieses Schlosses? Kann ich einem Gast nicht jedes Zimmer geben, das ich ihm geben will? Ich sagte Turmzi m mer. Und Lilliane«, fügte er hinzu, »sorge dafür, dass er es besonders bequem hat.«
Sie war zu zornig, um antworten zu können. Als sie die Treppen erklomm, die an ihrem Schlafg e mach vorbei zum Turmzimmer hinaufführten, kochte sie vor Wut.
Dieser herrliche Sir Corbett – ihr Feind – erhielt jede Aufmerksa m keit ihres Vaters. Er sollte genau das Zimmer erhalten, in dem ihre Eltern während ihrer gesamten Ehejahre ge wohnt hatten. Ihr Vater hatte seit dem Tod ihrer Mutter keinen Fuß mehr hineingesetzt. Doch dieser… dieser Thron räuber sollte frei darüber verfügen können.
Und über sie.
Die Kälte kroch Lilliane Rücken hinab. Dieser dunkle, grimmige Mann sollte ihr Mann werden und uneinge schränkte Gewalt über ihr Leben beko m men. Ungebeten stellte sich eine Erinnerung daran ein, wie Sir Corbett im Schloss erschienen war, nachdem ihre Verlobung verkündet worden war. Sie hatte sich neben seiner hochgewachsenen Gestalt klein und unbedeutend gefühlt. Aber wenn ihn der Gedanke an eine Heirat mit diesem mageren Kind abgestoßen hatte, so hatte er dieses Gefühl auf bewunderungswür dige Weise verborgen. Sie hatten zusammen gespeist, und er war sehr geduldig auf ihr scheues Geplapper eingegan gen.
Aber heute, so rief sie sich ins Gedächtnis, war sie kein Kind mehr, das leicht zu beeindrucken war. Und ebenso w enig war er der Kavalier ihrer Träume.
Lilliane bebte am ganzen Leib, als sie die eisenb e schlage ne Tür erreichte, die zum Gemach ihres zukünftigen Herrn führte. Mit zitternden Fingern schob sie den Türriegel zur Seite und öffnete die Tür.
Das Zimmer war bereits gefegt und gelüftet worden. Tho mas war wieder außerordentlich tüchtig gewesen, denn das Bett war mit frischen Leinentüchern bezogen worden, und ein kleines Feuer brannte im Kamin.
Lilliane hatte diesen Raum immer schon geliebt, und obwohl sie seit Jahren nicht mehr darin gewesen war, übte er eine ungeheure Wirkung auf sie aus. Einen Augenblick lang
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