Das Herz meines Feindes
einfachen Sitz erhob, ließ keinen Zweifel an seiner Absicht aufkom men. Bevor sie noch zur Besinnung kam, hatte er sie fest an beiden Armen gepackt. Sein Gesicht war nur wenige Zenti meter von dem ihren entfernt, als er sie wütend anblickte.
»Habt Ihr immer noch nichts gelernt? Ihr werdet niemals gegen mich gewinnen, Weib. Egal, wie Ihr wütet und kämpft, das Ergebnis steht fest.«
Tatsächlich glaubte Lilliane in diesem Augenblick, dass er die Wahrheit sprach. Hatte er ihren Vater nicht trotz all ihres Bittens davon überzeugt, ihr Verl o bungsversprechen einzu lösen? Hatte er sie nicht aufgespürt, wo man doch hätte er warten können, dass der Sturm ihn an der Verfolgung gehindert hätte?
Und jetzt, da sie in diesem kleinen Häuschen mit ihm ge fangen saß, konnte sie jetzt wahrhaft darauf hoffen, dass er davon absah, sie zum Ablegen ihrer Gewänder zu zwingen?
Sie wandte die Augen von seinem schiefergrauen Blick ab, und ein gewaltsames Zittern durchlief ihren Körper. Plötzlich war ihr kälter als je zuvor an diesem Abend; selbst ihre Zähne schlugen aufeinander. Aber als er seinen festen Griff lockerte, wurde ihr bewusst, dass seine Hände erstaun lich warm waren. Als er ihre Haut berührte, konnte sie die Hitze dort deutlich spüren, obwohl der Rest ihres Körpers von eisiger Kälte umhüllt war.
Als Lilliane sich von ihm zurückzog, hielt er sie nicht auf. Es war, als ob er wüsste, dass er gewonnen hatte. Schon wie der.
Unfähig, seinen prüfenden Blick zu ertragen, während sie ihr ruiniertes Gewand ablegte, wandte sie sich von ihm ab. Aber die Bänder an beiden Seiten ihres Kleides hatten sich durch die Feuc h tigkeit noch stärker zusammengezogen. Obwohl sie mit den Knoten kämpfte, gaben sie nicht nach, und Lilliane verspürte eine aberwitzige Befriedigung. Als sie ihm über die Schulter einen Blick zuwarf, hatte ihr Gesicht erneut einen rebellischen Ausdruck angenommen. Aber dieser ver schwand vollkommen, als er seinen langen Dolch mit doppelter Klinge aus dem Gürtel zog. Nur unter Aufbietung all ihrer Willenskraft gelang es ihr, nicht vor ihm zurückzuweichen, als er sich ihr näherte.
Lilliane stand steif und aufrecht da, als er den Knoten an ihrer Seite befühlte. Er ließ sich auf einem Knie nieder, sein zur Seite geneigter Kopf befand sich genau vor ihren Brüsten. Sie hielt den Atem an, als er mit dem Finger in die Schlaufen griff und sie dann von ihrer Seite fortzog, um sie mit der Klinge zu durchtrennen. Wieder diese erstaunliche Wärme.
Dann drehte er sie um, seine Hand ruhte auf ihrer Taille. »Ihr könnt die Bänder jederzeit ersetzen lassen«, sagte er mit ruhiger Stimme.
»Das Gewand ist wahrscheinlich sowieso ruiniert«, ant wortete Lilliane dumpf. Aber sie wagte es immer noch nicht zu atmen. Mit einer weiteren geschickten Drehung seines Handgelenks schnitt er den letzten widerstrebenden Knoten entzwei. Dann hob er den Kopf und sah sie an.
In der engen Hütte, nur beleuchtet durch das tanzende Feuer, schien er ein anderer Mann zu sein. Vielleicht weil er seine dunkle Tunika nicht anhatte. In seinem schneeweißen Wams erschien er keine s wegs kleiner, dafür aber weniger bedrohlich. Vielleicht war es ja auch sein Haar, schwarz wie der Flügel eines Raben, das im Licht des Feuers goldene Funken zu sprühen schien. Möglicherweise lag es auch nur daran, dass er aus seiner halb knienden Position zu ihr empor sah, und sie nicht – wie sonst – bedrohlich überragte.
Was auch der Grund sein mochte, Lilliane spürte die Ver änderung an ihm. Doch auch das versetzte sie in Angst und Schrecken. Sie wollte keine sanften Gefühle für diesen Mann hegen. Er war ihr Feind, und seine Rechte, die er durch die Ehe erwarb, änderten nichts daran.
Sie wich zurück, aber er hatte etwas anderes im Sinn. Mit einer geschmeidigen Bewegung packte er den Stoff ihres Rockes mit einer Hand und zog ihn dabei so straff, dass sie keinen weiteren Schritt machen konnte. Dann tastete seine andere Hand den kleinen klaffenden Spalt an ihrer Taille, wo die Bänder sich nun gelöst hatten. Lilliane stockte der Atem, und sie konnte ein entsetztes Keuchen nicht unter drücken. Mit weit geöffneten Augen blickte sie auf ihn hinab und konnte nicht verhindern, seine narbige Stirn, den Glanz seines schwarzen Haares und die Aura kontrollierter Kraft zu bemerken, die ihn so selbstverständlich umgab.
Er zog an dem nassen Rock und zog sie näher zu sich heran. Die ganze Zeit über hielt er seinen wachsamen Blick
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