Das Herz meines Feindes
Qismah untersuchte, saßen auf ihren Pferden. Es war eine friedliche Szene, doch als Sir Aldis und seine acht Ritter in den kleinen Hof einritten, spürte Lilliane die Spannung, die in der Luft lag.
»Ich sehe, dass Ihr meine Nachricht, dass sich Lady Lilliane wieder in meiner sicheren Obhut befindet, erhalten habt«, begann Corbett. Seine Stimme klang freundlich, wie nur die Stimme eines Menschen, der seinen Gegner überhaupt nicht fürchtet, freundlich klingen kann. Seine Worte enthielten keine Drohung, und doch sorgten schon seine Körpergröße und sein Selbstvertrauen dafür, dass Sir Aldis zögerte. Das Kontingent, das er von Orrick mitgebracht hatte, umfasste um die Hälfte mehr Männer als die Ritter, die sich um Cor bett scharten. Aber selbst Lilliane war sicher, dass sie nicht allzu viel Lust hatten, die Klinge mit den erfahreneren Rittern Corbetts zu kreuzen.
Sir Aldis funkelte Corbett wütend an, dann warf er Lillia ne einen zornigen Blick zu. »Und sie ist wirklich, nun, in si cherer Obhut? Wurde ihr kein… Schaden zugefügt?« fragte er voller Hohn.
Corbett erstarrte. »Wollt Ihr etwa Zweifel an der Ehre die ser schönen Jungfrau äußern – der Schwester Eurer eigenen Frau – mit der ich mich noch am heutigen Tag zu vermählen gedenke?« Diesmal konnte man die Drohung in seinen ruhigen Worten nicht missverstehen.
Einen langen, angespannten Augenblick starrten die bei den Männer einander an. Sir Aldis war es, der das Schwei gen brach.
»Es ist nicht die Ehre von Lady Lilliane, die ich in Frage stelle.«
»Dann vielleicht die meine?«
Auf beiden Seiten waren die Ritter nun in Ha b tachtstel lung, und Lilliane war sicher, dass ein Kampf unter ihnen ausbrechen würde. Als sie über den Hof zu ihnen hin rannte, kam ihr der Gedanke, dass sie sich Sir Corbetts Willen schon wieder unterwarf, aber sie wusste, sie würde es nicht ertra gen können, wenn wegen ihr Blut vergossen wurde.
»Haltet ein, Sir Aldis, ich bitte Euch!« Sie legte eine Hand auf das Zaumzeug seines Pferdes, als sie, eine kleine, schlan ke Person, inmitten der mächtigen Ritter stehen blieb. »Es ist mir kein Leid zugefügt worden, wie ihr wohl sehen könnt. Und ich will nichts anderes als nun in das Haus meines Va ters zurüc k kehren.«
Sie wusste, dass Sir Corbetts Augen auf ihr ruhten, aber Lil liane weigerte sich, ihn anzusehen. Sie heftete ihre großen bernsteinfa r benen Augen auf das gerötete Gesicht ihres Schwagers, fest entschlossen, ihn dazu zu bewegen, seine kriegslüsterne Haltung aufzugeben. Sie wusste, dass sie wie eine Dirne aussah, mit ihren nackten Füßen und dem wild zerzausten Haar. Noch nie war sie in aller Öffen t lichkeit so erschienen, und diese Tatsache entging Sir Aldis keineswegs. Aber Gott sei Dank schien er die Situation noch einmal zu überdenken und lenkte schließlich ein.
»Wie Ihr wollt, Lilliane. Aber Euer Bräutigam wird sich für einiges verantworten müssen.«
»Sein Pferd lahmte«, erklärte Lilliane und warf Corbett nun doch einen Blick zu. Zu ihrem großen Kummer verzog er den Mund zu einem kleinen Lächeln, und sie biss sich vor Verärgerung auf die Lippen. Sie spielte ihm direkt in die Hände, und er genoss es außerordentlich! Sie war ausgespro chen zornig, dass sie den Vermittler spielen musste, obwohl ihr doch nichts lieber gewesen wäre, als mit anzusehen, wie jemand ihn in die Schranken wies. Doch wenn sie Sir Aldis nicht beruhigte, riskierte sie ein Blutvergießen, und das konnte sie nicht verantworten. »Wir hatten Glück, dass wir hier Schutz gefunden haben«, endete sie schwach.
Sir Aldis grunzte nur, dann bedeutete er einem seiner Männer, sie hinter ihm aufs Pferd zu heben. Es war eine schweigsame Gruppe, die sich nun auf den Weg nach Orrick begab.
Die Sonne hatte den Zenit schon überschritten, als sie Or rick Castle schließlich erreichten. Lilliane war beschämt, auf diese Weise zurückzukehren: seitwärts hinter einem alternden Ritter zu sitzen, ihre bloßen Füße herabbaumeln zu las sen. Ihr Rückgrat schmerzte. Ihr Haar war eine wilde Mähne aus Kastanie und Gold. Die Felder waren leer und das Dorf ebenso. Erst als sie die Schlossmauern hinter sich ließen, kam ihr das volle Ausmaß ihrer Schande zu Bewusstsein. Jeder letzte Einwohner von Orrick – vom Kaufmann zum Diener, vom Freien zum Leibeigenen – wartete dort, in seine feinsten Kleider gehüllt, auf die große Hochzeit der beiden Töchter des alten Lord und um die Einführung des neuen Herrn mit
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