Das Herz meines Feindes
spielte ihre Lippen, als sie ihr Haar am Oberkopf zusammen fasste, es zu einer schweren Locke zusammendrehte und sie in ein silbernes Haarnetz stopfte. Das dünne Metall war raf finiert geformt und in einem komplizierten Muster durchsto chen, das die volle Farbe ihres Haares fast vollko m men ver deckte.
Sie befestigte einen bestickten Leinenschleier auf ihrem Kopf, den sie unter das Kinn binden konnte, und schließlich fügte sie einen kleinen, viereckigen Kopfschleier hinzu. Als sie zufrieden war, weil ihr Haar vollkommen verdeckt war und sie wie ein Muster an weiblicher Respektabilität aussah, nickte sie den beiden verblüfften Dienerinnen zu.
»Jetzt bin ich fertig.«
Lord Barton brach mit heftigem Stöhnen auf seinem Stuhl zusa m men. Thomas war sofort an seiner Seite, und Lord Barton musste trotz seiner offensichtlichen Schmerzen ki chern.
»Wie kommt es, dass du, der du so mager und gebeugt und außerdem noch älter bist als ich, immer noch so flink und hurtig bist? Während ich…« Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz, und er legte die Hand auf den Magen. »Ich se he gesund und kräftig aus und spüre doch täglich das Schwinden meiner Gesundheit.«
Thomas füllte einen Becher aus einem Krug mit Ziegen milch und setzte ihn seinem Herrn an die Lippen.
»Seid froh, dass Euer Schwiegersohn Aldis Eure Krankheit nicht sieht«, bemerkte er trocken, als er beobachtete, wie sein Herr den Becher langsam leerte.
»Ja«, stimmte Lord Barton zu, als er etwas E r leichterung von dem Feuer spürte, das in seinem Inneren brannte. »Wenn er nicht so viel Angst vor mir hätte, würde er sich wohl kaum darauf b e schränken, vor Wut kochend neben mir zu stehen. Aber nach dem heutigen Tag wird er jemand anders haben, vor dem er sich fürchten muss.«
Thomas schüttelte seinen alten grauen Kopf, und sein Ge sicht spiegelte seine Sorge wider. »Ich fürchte, dass einige Veränderungen vor uns liegen. Ein Colchester, der über Orrick herrscht«, murmelte er voller Abscheu.
»Ah, aber nicht irgendein Colchester. Den jungen Corbett kann man mit seinem Bruder Hughe nicht vergleichen. Er besitzt die Klugheit und Stärke seines Vaters. Und den Ge rechtigkeitssinn aus der Familie seiner Mutter. Hughe war immer schon ein T u nichtgut, ohne jedes Verantwortungsbe wusstsein. Obwohl er gerissen ist, ist er im Herzen ein Narr. Ihm kann man nicht vertrauen.«
»Und Sir Corbett kann man vertrauen?«
»Ja. Wenn ich das nicht glaubte, dann hätte ich diese Hei rat zw i schen unseren Häusern nicht schon vor langer Zeit geplant. Selbst diese dumme Fehde ändert nichts daran.«
Mit einer ungeduldigen Bewegung hievte er sich aus seinem Stuhl, wobei er nur ganz leicht das Gesicht verzog. »Ist er nicht heute zu mir gekommen und hat mir die Wahrheit über seine Nacht mit Lilliane berichtet? Es erfordert viel Mut, einem Mann ins Gesicht zu sagen, dass man bei seiner Tochter gelegen hat. Er weiß, dass Lillianes Ruf deshalb be reits gelitten hat. Doch seine Sorge ist, dass sie nicht falsch beurteilt wird.«
Thomas warf seinem Herrn einen misstrauischen Blick zu. »Sie mag ihn nicht. Das beweist schließlich ihr Versuch, von hier zu fliehen! Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich ihre Meinung geändert hat, wenn man bedenkt, wie viel Schmach er ihr zugefügt hat.«
Vergnügt winkte Lord Barton die Sorgen seines alten Freundes fort. »Ich habe nicht erwartet, dass Lily diese Ehe leicht fällt. Aber sie hat in Corbett ihresgleichen gefunden. Sie wird lernen, seine Qualitäten als Ehemann schätzen zu lernen.«
Dann wurde sein Gesicht ernster. »Ich werde bald mit ihr sprechen, Thomas. Ich werde ihr von meiner Krankheit erzählen. Wenn sie versteht, wie sehr Orrick von ihr abhängt, wird sie mit ihm ihren Frieden schließen. Sie gehört nicht zu denen, die ihre Pflichten auf die leichte Schulter nehmen, nicht meine Lily. Sie wird sich schon wieder fangen.«
Ganz bestimmt waren es nicht ihre Pflichten, die Lady Lillia ne am meisten beschäftigten, als sie ungeduldig in ihrem Ge mach wartete. Sie hatte ihrem Vater schon zweimal eine Nachricht geschickt, und noch immer hatte er nicht geant wortet. Die Stunde, in der die Zeremonie beginnen sollte, war fast angebrochen und sie fürchtete nun, dass er über haupt nicht mit ihr sprechen wollte.
Sie war nicht ganz sicher, was sie zu ihm sagen würde. Sie wusste nur, dass sie ein letztes Mal versuchen musste, diese Heirat zu verhindern. Eigentlich war ihr klar, dass dies ein hoffnungsloses
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