Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)
abschütteln zu wollen – verzweifelt genug, um ein Luftschiff der Hesperus-Klasse abstürzen zu lassen.«
»Sabotage? Ich dachte, es sei ein Unfall gewesen. Defektes Pilotenaggregat, wie bei …« Verlegen verstummte er. Ihm war bewusst, wie nah er damit alten Wunden gekommen war. Um die Stille zu überbrücken, füllte er sein Glas nach. »Wer war dein Freund?«
»Marcus. Derjenige, mit dem ich gern geredet hätte«, antwortete ich und ließ ihn damit vom Haken. »Er war auf dem Heimweg von einer langen Reise. Und gab mir ein Mechagen.« Ich streckte die Hände aus, um ihm die Größe zu zeigen. »Eines, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe.«
»Oh«, sagte Morgan und lehnte sich zurück. »Ich verstehe. Und … und hast du eine Ahnung, woher dein Freund zurückgekommen sein könnte?«
»Sicher.« Ich zog das Kartenartefakt aus meiner Jacke hervor und legte es auf den Tisch. Erschaffer Morgan sah verblüfft aus, was er mit einem ausgiebigen Schluck Wasser zu überspielen versuchte. Seine aufgedunsene Hand zitterte. Ich entfaltete die Karte. In seiner Hast, den Mechanismus zu verdecken, ließ er beinah sein Wasser fallen.
»Nicht nötig.« Seine Stimme erklang leise. »Du hast es also?«
»So ist es.«
Morgan wirkte beunruhigt. Er wollte mich nicht ansehen, und seine Hände wanderten unablässig zwischen dem Tisch und seinem Gesicht hin und her, wobei sie unterwegs innehielten, um an seinen langsam trocknenden Kleidern zu zupfen.
»So, so. Dass du so etwas zu mir bringst, einem Mann wie mir … Und dieser Marcus hat dir das Mechagen gegeben?«
»Er lag im Sterben. Er bat mich, es nach Veridon zu bringen.«
»Und die Tombs? Was haben sie mit alldem zu tun?«
»Die Karte stammt aus ihrem Haus. Sie haben Marcus die Wasserfälle hinuntergeschickt. Ich weiß nicht, was sie zu finden hofften.«
»Sie hatten keine Ahnung. All die Jahre lang ist nichts passiert.« Er ergriff die Karte und hielt sie behutsam in den Händen. »All die Jahre, und dann bekommen sie die Tombs. Sie hat sie ihnen gegeben.«
»Sie?«
Wehmütig starrte er die Karte an, bevor er sie auf den Tisch legte.
»Wie sieht es mit deinen Kirchenbesuchen aus, Jacob? Ehrt die Familie Burn das Haus des Algorithmus noch?«
»Bei mir ist es Jahre her. Aber mein Vater geht nach wie vor hin.« Die Ikonen der Celesten, die er stets in der Tasche hatte, wenn er die Hallen der Kirche betrat, erwähnte ich nicht.
»Du solltest zurückkehren. Such dir einen Sitzplatz in der Nähe des Wandteppichs des verborgenen Strebens. Dort ist eine Säule, die Säule der innigen Absichten. Nördliche Mitte des Raums. In der Nähe der alten Burn-Kirchenbänke, wenn ich mich recht erinnere.«
Er stand auf. Wasser schwappte von seinem Stuhl auf den Gitterboden. Noch einmal berührte er die Karte.
»Ich bin schon zu lange hier«, meinte er. Sein Gesicht wirkte etwas schlaff, wie ein halb gefüllter Lederballon. »Alles Gute, Jacob Burn. Und viel Glück mit deinen Legenden.«
Ich beobachtete, wie er sich umdrehte und ging. Seine von Flusswasser durchtränkten Füße hinterließen eine rasch trocknende Wasserspur.
Kapitel 11
DIE KAMMER DES HERZENS
Die Kirche des Algorithmus verkörpert das Herz von Veridon. Sie liegt am Südufer des Ebd, eine knorrige Faust, die den Fluss mit fingerartigen Brücken umfasst, während das Wasser über die offene Handfläche fließt. Ein Großteil der Kirche befindet sich über dem Fluss, aber das Wasser wird durch Kanäle geleitet, und unter den Flussturbinen und Heizräumen, die inmitten der Fluten stampfen und zischen, reicht das heilige Gebäude in ungeahnte Tiefen.
Von außen sah die Kirche wie ein architektonisches Krebsgeschwür aus – sie wucherte. Mauern wurden verlängert, Dächer wurden um Kuppeln und Türme ergänzt, die zusammenwuchsen, bis sie selbst zu Mauern wurden. Das Gesamtgebilde strotzte vor Schloten, aus denen öliger Rauch quoll, ein Qualm, der sich auf den Höfen rings um die Kirche ablagerte. Alles in der Umgebung war schwarz verschmiert. Der Boden rumorte vor den verborgenen Maschinen ihres Gottes. Ich konnte es in den Fersen spüren, als ich darauf zuging.
Emily und ich standen vor dem Büßertor und beobachteten die Schlange der Bettler, die an der Flanke der Kirche kauerten. Es waren Männer und Frauen, die sich die Instandhaltung ihrer Mechagene nicht leisten konnten, Menschen mit Uhrwerk-Lungen und geölten Herzen, die nicht mehr für die autorisierten Mechagen-Wartungstechniker in der Stadt bezahlen
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