Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)

stärkeren Strömungen erreichen. Sie sollte nicht ans Ufer gespült werden. Ihre Reise sollte gut verlaufen. Vielleicht würde ich ihr auf dem Friedhof der Stadt eine Gedenktafel widmen. Aber ihr Körper gehörte hierher, fernab der Stadt, fernab der Mächte, die ihr Ende herbeigeführt hatten. Vielleicht würde ich ihr auch hier draußen am Grenzwasserfall eine Gedenktafel widmen. Vielleicht würde ich eine Reise zu fernen Orten unternehmen, zu den Orten, die Marcus besucht hatte – eine Reise, die Emily und ich gemeinsam hätten antreten sollen. Vielleicht.
    Ich begab mich weit hinaus. Das Wasser stieg mir über die Schultern. Der Schlamm unter meinen Füßen fühlte sich glitschig an. Als der Grund des Flusses ohne Vorwarnung abfiel, stürzte ich und ruderte mit den Armen. Das Boot trieb von mir weg. Meine Fingerspitzen lenkten es nur noch mit Müh und Not in gerader Linie in die Strömung. Ich ging unter und spielte mit dem Gedanken, dort zu bleiben. Ich dachte an Erschaffer Morgan und die dunklen Strömungen der Fehn. Eine Weile verharrte ich, spürte, wie das Wasser an mir zerrte, beobachtete, wie das Licht schwand und die Kälte in meine Haut kroch. Dann streifte mein Fuß einen Stein, und ich stieg über die Wasseroberfläche auf. Keuchend rang ich nach Luft und kämpfte mich zurück ans Ufer. Die Strömung zog an mir, hielt mich zurück. Der Schlamm saugte an meinen Füßen. Ich fiel. Das Wasser schwappte über meinem Kopf zusammen, und ich kämpfte mich auf Händen und Knien weiter zum Ufer. Als ich erneut aufstand, reichte mir das Wasser bis zur Hüfte.
    Mir wurde klar, dass ich beinah gestorben wäre. Wasser strömte aus meinen Lungen. Ich zitterte. Schließlich drehte ich mich zum Fluss um, zu der schmalen weißen Linie des Wasserfalls, der von Veridon wegstürzte.
    Das kleine Boot war verschwunden. Emily war fort.

 
    Tim Akers wurde in North Carolina geboren, als einziger Sohn eines Theologen. Später zog er nach Chicago, wo er das College besuchte und noch heute mit seiner Frau und seinem deutschen Schäferhund lebt. Er widmet seine Zeit zu gleichen Teilen der Pflege von Datenbanken und dem Führen von Füllfederhaltern.