Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)
stellt den Körper Gottes dar. Es sehnt sich nach dem Muster in uns. Zusammen werden wir etwas Komplexeres. Etwas Schöneres.«
»Abzüglich der Theologie.«
»Mechagene brauchen Blut, und sie brauchen unseren Geist.« Wenn er redete, konnte ich kaum die sich windende Masse flacher, schwarzer Würmer erkennen, die seine Organe ersetzte und an seinem Halsansatz wuselte. »Das ist die Laienversion.«
»Und dieser Engel?«, fragte ich.
Er verschränkte die Arme und starrte über meine Schulter hinweg. Nach mehreren ausgiebigen Schlucken Wasser füllte er das Glas aus dem Krug nach, dann legte er die Finger aneinander. »Das interessiert mich«, verkündete er.
Erschaffer Morgan schwieg eine Weile, trank nicht einmal. Als er wieder das Wort ergriff, klang seine Stimme so ruhig wie ein tiefer Teich.
»Ich hatte natürlich schon davon gehört. Die Ereignisse im Herrenhaus der Tombs haben die Gerüchteküche angeheizt. Man stelle sich vor – nach all der Zeit besucht uns ein weiterer der Strahlenden.«
»Ein weiterer?«
»Camilla. Jacob, du kennst die Bücher.« Er klang vorwurfsvoll, enttäuscht. »Ihre Gaben haben der Stadt Fortschritt gebracht. Ich frage mich, was dieser Besuch verheißen mag.«
»Camilla ist eine Geschichte, Morgan. Eine Parabel.« Auch ich trank einen Schluck Wasser, um ihm nicht nachzustehen.
»Eine Geschichte? Eine Geschichte.« Seine Stimme schwoll langsam an wie die Flut. »Die Heilige Schrift, Jacob. Wahrheit. Wahr genug, um die Anbetung dieser Geister zu beenden.«
Die Kirche brachte bei jeder Gelegenheit den Sturz der spirituellen Herrschaft der Celesten zur Sprache. Besonders in Gegenwart der Gründerfamilien, die diese ätherischen Geschöpfe immer noch anbeteten und sich dem Vormarsch des Algorithmus widersetzten. Das Zuhause meiner Kindheit hatte vor Ikonen der Celesten gestrotzt, die jedes Mal versteckt worden waren, wenn Besuch von Kirchenvertretern anstand.
»Nicht einmal Ihre eigenen Erschaffermeister erkennen diese Geschichte noch an. Camilla ist ein Schöpfungsmythos, ein praktischer Aufhänger, um den Aufstieg der Kirche und ihre Beherrschung der Mechagenetik zu beschreiben. Ein Kind der Engel? Also wirklich, daran glaubt niemand mehr.«
»An das Kind?«, hakte er nach, wobei sich ein Grinsen über sein Gesicht ausbreitete. »Oder an die Engel?«
Ich verzog das Gesicht. »Vor zwei Wochen hat noch niemand an Engel geglaubt.«
»Natürlich nicht.« Morgan schniefte, ein seltsamer Laut aus einem von Flusswasser vollgesogenen Kopf. »Immerhin haben wir in Veridon eine so aufgeklärte Epoche. Da ist es doch wahrhaft absurd zu glauben, sie könnte das Kind von Engeln sein. Richtig?« Er trank mit einem ekligen Schlürflaut und leerte das Glas, bis er Luft einsaugte. »Denn dann müsste es ja so etwas wie Engel geben. Was uns zurück zu deiner Frage führt, Jacob. Wie hat sie noch mal gelautet? Was wolltest du von mir wissen?«
Morgans Bund mit dem Algorithmus mochte aufgelöst worden sein, als sein Boot vor so vielen Jahren kenterte und er sein Leben in den Fluten aushauchte, doch seine Loyalität galt ihm eindeutig noch immer. Seltsam, aber vermutlich lag es an dieser leidenschaftlichen Hingabe, dass er so lebendig blieb. Viele Fehn trieben nur in der dunklen Strömung des Reines, rammten die Piers und jagten Kindern Angst ein.
Wie auch immer, er hatte mich in der Zwickmühle. Sosehr ich es leugnen wollte, das gegenwärtige Problem war ein Engel. Mythos hin, Mythos her, Propaganda hin, Propaganda her, ich hatte ihn zwei Mal gesehen und ein Mal getötet. Der Engel war echt.
»Ja gut«, räumte ich schließlich ein und verlagerte auf dem Sitz das Gewicht. »In Ordnung. Aber er war nicht nur im Herrenhaus. Ich habe ihn schon davor gesehen, vor ein paar Tagen. Oben auf den Höhen.«
»Auf den Höhen?«, hakte Morgan nach. »Wieder bei den Tombs? Was haben sie getan, um derart seine Aufmerksamkeit zu erregen?«
»Dem spüre ich gerade nach. Aber ehrlich gesagt scheint er eher an mir interessiert zu sein. An etwas, das ich habe.«
»Ich bin ein alter Mann, Jacob, und tot. Hör auf, mit mir zu spielen. Was hast du und was weißt du?« Er beugte sich vor. »Ich kann dir nicht helfen, wenn du nicht aufrichtig zu mir bist.«
»Zwei Gegenstände. Einer wurde mir gegeben, den anderen habe ich mir genommen. Ein Freund von mir, ein Mann, den ich einige Jahre lang nicht mehr gesehen hatte – er starb an Bord der Pracht des Tages . Er schien ziemlich verzweifelt jemanden
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