Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)
die Klingen gruben sich in meine mit Leitungen verwobenen Rippen. Ich hustete vor Schock und Schmerz. Das Mechagen fiel auf das Deck. Als sich der Engel bückte, um es aufzuheben, rollte ich mich über die Reling und auf seinen Rücken. Wir rangen miteinander, wobei er die Klingen mehrmals in meinen Körper stieß und wieder herauszog. Ich verdrängte die Schmerzen und versuchte, nicht an meine Lungen, an meine zugeschnürte Kehle, an den Verlust jeglichen Gefühls in meinen Beinen zu denken. Ich sprang auf den Engel, presste ihn an mich, drückte ihn nieder, umklammerte seine Arme. Das Mechagen rollte von ihm weg auf das Deck. Die Blumenbrust schnappte nach mir, hungrig, zornig. Die grellen Augen gleißten in der Dunkelheit.
Er wuchtete sich gegen mich. Ich versuchte, ihn festzuhalten, konnte jedoch spüren, wie er mir entglitt. Blut strömte aus mir, rotes Blut. Das Metall in meinem Körper war verbraucht, und mein Geist floss ebenfalls aus mir ab. Ich konnte den Engel nicht ewig festhalten. Ich würde abgleiten, er würde sich aufrichten, mich töten und sich anschließend das Herz nehmen. Und Camilla befreien. Dann würde die Stadt bezahlen. Veridon sollte auch bezahlen, dachte ich, aber ich nicht. Es war nicht meine Schuld. Ich würde nicht bezahlen.
»Wilson!«, brüllte ich kraftlos. Ich rutschte ab. Die Luft war so stark elektrostatisch aufgeladen, dass sie knisterte. Ich konnte mich nicht konzentrieren, konnte meine Haut nicht spüren. Mein Griff um die Handgelenke des Engels lockerte sich. Er starrte mich an. Sein Hass und seine Wut schienen auf meinen Körper überzugreifen. Mir wurde klar, dass ich weinte. Weit vorne hörte ich Schüsse. Wilson kam nicht. Er würde nicht schnell genug hier sein.
»Es tut mir leid«, sagte ich. »Es tut mir leid, dass ich es nicht tun konnte.«
»Schon gut, Jacob. Lass einfach los, und alles wird gut.«
»Nein«, gab ich zurück. »Wird es nicht.«
Ich fuhr mit der Hand über sein Gesicht, hielt an der Nase und den Lippen inne. An der zierlichen Linie der Wange. Dann wanderte meine Hand über den Hals und drückte zu. Emilys Augen weiteten sich panisch, dann begann sie zu zappeln wie ein Schlangenfisch. Ich drückte sie nach unten, behielt die Hüfte auf ihrer Brust, meine andere Hand an ihren Handgelenken, meine Faust an ihrer Kehle. Ihr Mund öffnete sich flehentlich, doch ich konnte nichts hören. Wollte ich auch nicht. Es dauerte eine lange Minute. Meine Sicht verschwamm vor Schweiß und Blut von meiner Stirn.
Letztlich erlosch das Licht in ihren Augen und damit auch der Schimmer rings um sie. Die Flügel zerfielen zu silbriger Asche. Eine Sekunde lang tauchten jene braunen Augen wieder auf, füllten sich sofort mit Tränen und rollten dann nach oben. Sofort zog ich meine Hand zurück. Sie rührte sich nicht.
Die Donnerndes Morgengrauen pflügte in den Canal Blanche. Die Auftriebskammern fielen in sich zusammen und prasselten zu Boden wie das Gewölbe des Himmels, das über einem Leben zusammenstürzt.
Sirenen hallten durch die Stadt, am Himmel zuckten Blitze. Ich nahm Emily in die Arme und rannte los.
Epilog
DAS MÄDCHEN IST FORT
Ich legte Emily in das kleine Boot. Ich hatte es aus einigen Fässern und einem Teil der Truhe selbst gebaut. Die Truhe stammte von meinem Vater. Ich schätze, die Annahme des Geschenks war ein erster Schritt.
Sie passte hinein. Ich hatte die Schäden behoben, die blauen Flecken und die letzten Schnittwunden kaschiert, die ihr der Engel zugefügt hatte. Ihre Augen waren geschlossen. Die Narben von den Metallblasen befanden sich unter dem weiten weißen Kleid, das ich aus dem nicht mehr benutzten Schrank meiner Schwester hatte. Es passte Emily nicht besonders, trotzdem sah es gut an ihr aus.
Wir befanden uns flussabwärts in der Nähe des Wasserfalls. Wilson wollte hier sein. Ich hatte ihm gesagt, dass ich es am nächsten Tag tun wollte. Ich mietete einen Wagen und ein Maultier. Die Menschen gaben vor, nicht zu sehen, wie ich die Stadt verließ. Sie wussten es, ohne es zu wissen.
Das kalte Wasser umspülte erst meine Knöchel, dann meine Knie. Ich legte das Mechagen mitten auf ihre Brust und verschränkte ihre Arme darüber. Lange Zeit stand ich knietief im Wasser, das friedlich gegen die Seiten des Bootes klatschte. Ich wollte irgendetwas sagen, doch mir fiel nichts ein. Es gab nichts zu sagen, außer Dinge, die ich hätte sagen sollen, als sie noch gelebt hatte. Immer dasselbe.
Ich watete weit hinaus. Ich wollte eine der
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