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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Lunge endlich wieder mit Luft gefüllt war, wandte sich Barrick ihr zu und ...
    BUMM!
    Der Knall riss ihn jäh in die Gegenwart zurück, ließ seine Erinnerungen zerstieben wie Pusteblumenflaum. Er fuhr herum und blickte über die Bucht. Was da geknallt hatte, war schwer auszumachen, aber über Südmarkstadt stiegen feine Rauchfähnchen auf. Einen Moment lang konnte Barrick sich schon fast einreden, dass es die Schornsteine waren, dass alles seine Ordnung hatte und das eben nur Donner gewesen war. Wer, sollte denn schließlich eine Kanone abfeuern ...?
    BUMM! BUMM!
    ... Nein, nicht eine, mehrere — die Qar? Hatten die überhaupt welche? Und wo war Saqri? Verletzt? Konnten die Kanonen so weit schießen? Er rannte den Weg entlang.
    Nein,
sagte sie, so nah wie seine eigenen Gedanken.
Beweg dich langsam, Barrick Eddon. Da sind viele Augen, die uns beobachten.
    Er drehte sich um und sah zu seinem Erstaunen Saqri jetzt hinter sich — irgendwie hatte er sie überholt. Sie sagte nichts mehr, ging einfach nur an ihm vorbei und weiter durch den Hain aus verwachsenen, struppigen Bäumen. Als sie das Haus erreichte, öffnete sich die Tür unter ihrer Berührung, als hätte sie sie erwartet.
    Barrick folgte ihr nach drinnen, überwältigt von dem vertrauten, muffigen Geruch, aber auch von der Erschöpfung, die an ihm hing wie ein mit Steinen beschwertes Skimmernetz.
    »Geh schlafen«, sagte Saqri und sprach die Worte ganz normal in die Luft wie gewöhnliche Sterbliche. »Für den Moment bist du sicher. Für alles andere ist später noch Zeit. Schlaf«
    Barrick widersprach nicht. Eins der Betten war leicht zerwühlt, als ob jemand darin geschlafen hätte, wenn das auch, nach den Laken und Decken zu urteilen, die an der salzigen Luft immer steif wurden, schon Wochen her sein musste, aber er konnte sich darüber jetzt keine Gedanken machen, weil der Schlaf ihn mit derselben Macht hinabzog wie zuvor die Wasser der Brennsbucht und er diesmal nicht die Kraft hatte, dagegen anzukämpfen.
    Dann war das Bett eben ungemacht. Im Moment wäre es ihm sogar egal gewesen, wenn Kernios persönlich darin geschlafen hätte. Barrick zog sich die nassen Kleider vom Leib und schlüpfte nackt zwischen die steifen Laken. Im Nu fiel er in tiefen Schlaf.
    »Wir haben Besuch«, sagte Saqri irgendwo ganz in der Nähe.
    Barrick kämpfte sich aus einem Traum empor, in dem er alle Straßen einer Wüstenstadt nach Qinnitan abgesucht, sie aber nirgends gefunden hatte. Er öffnete die Augen, wusste zunächst nicht, wo er war, aber dann fiel es ihm alles wieder ein — der Spiegel, das grüne Meer, die träumende Präsenz des Gottes in der Tiefe. Er setzte sich auf und sah Saqri am Fußende seines Betts stehen.
    »Was?« Er versuchte, seine Gedanken zusammenzunehmen. »Besuch?«
    Er hatte es für einen Witz gehalten, aber die Zwielichtlerkönigin blickte über ihre Schulter zum Hauptraum des Sommerhauses. »Eigentlich sind wohl wir der Besuch, und sie sind hier, um festzustellen, ob wir ihnen etwas Böses wollen.«
    Barrick konnte nur den Kopf schütteln, in der Hoffnung, ihn dadurch klar zu bekommen. »Besuch? Hier auf M'Helansfels? Aber hier ist niemand ...!«
    Ihr blasses, eckiges Gesicht war ausdruckslos. »Meinst du?«
    »Na gut, ich komme.« Er wartete kurz ab, aber sie rührte sich nicht vom Fleck. »Würdet Ihr bitte hinausgehen, damit ich mich anziehen kann? Ich bin nackt.«
    Saqri warf ihm einen belustigten Blick zu, als sie die Tür hinter sich zuzog — aber sie war doch in gewisser Weise seine Vielmals-Ururgroßmutter, oder? Es wäre doch sicher nicht schicklich, sich vor ihr anzukleiden wie vor irgendeiner Dienerin? Stirnrunzelnd mühte sich Barrick in seine Qar-Kleider. Es war verrückt, dass sie so jung und schön aussah. Das verwirrte ihn.
    Als er in die Haupthalle des Sommerhauses hinaustrat, war er sich zunächst nicht sicher, was er da vor sich sah. Der Fußboden selbst schien sich zu bewegen, als ob ein Teppich zum Leben erwacht wäre. Hundert oder mehr winzige Leutchen warteten da, erkannte er mit wachsender Verblüffung — Leutchen, so klein wie die Stoltewichte, die er hinter der Schattengrenze getroffen hatte, aber bekleidet mit Hosen, Jacken und Hüten wie Menschen. Ihre Gesichtchen, jedes kleiner als eine Kupferkrabbe, waren ihm erwartungsvoll zugewandt, aber Barrick hatte es die Sprache verschlagen.
    Einer der Winzlinge, ein bärtiges Männlein, trat aus der Menge hervor. Er war sichtlich wohlbeleibt und wirkte sehr vornehm

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