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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hinunterlassen. Wisst Ihr, wie lange es dauert, so viel Seil zusammenzuspleißen?« Der Lehrling schüttelte den Kopf »Ich weiß, dass Krieg ist. Ich will auch verdammt noch mal
hoffen,
dass Krieg ist, wenn ich mich hier so kaputtschufte.«
    Flint war wieder zurück, nachdem er Opalia ein weiteres Mal durch sein rätselhaftes Verschwinden schier in den Wahnsinn getrieben hatte, und kletterte auf den schmalen Sitz des Wagens. Chert vergewisserte sich, dass die Säcke mit den verschiedenen Zutaten festgezurrt waren, bevor er die Zügel auf das Hinterteil des Esels klatschen ließ, um die Prozession in Gang zu setzen. Er wusste jetzt genug über die Herstellung von Sprengpulver, um sich keine Sorgen zu machen, dass der Salpeter Feuer fangen, explodieren und sie töten könnte, wenn er hinunterfiel. Stattdessen machte er sich Sorgen, was passieren würde, wenn er auf einem der steileren Pfade einen Unfall hätte und einen der großen Säcke oder — was die Alten der Erde verhüten mochten! — die ganze Ladung verlieren würde. Sie konnten nichts entbehren.
    Es war natürlich Wahnsinn, das wusste Chert. Die ganze Idee war verrückt. Selbst wenn es plangemäß funktionierte, konnte es sie alle umbringen ... aber es war nicht sehr wahrscheinlich, dass es plangemäß funktionieren würde.
    Ein Arbeiter, der vor dem Karren herging, verlangsamte seinen Schritt, als es vor ihm einen Stau gab, und musste schließlich seine Schubkarre absetzen. Chert zog die Zügel an, während irgendwo weiter vorn ein kleineres Hindernis von der Straße geräumt wurde. Er dachte besorgt, dass er vielleicht Hauptmann Vansen und den anderen die Erfolgschancen dieses Unternehmens zu rosig dargestellt hatte.
    »Papa Chert?«
    Er schreckte hoch. Wie so oft hatte Flint so lange geschwiegen, dass Chert seine Anwesenheit ganz vergessen hatte. »Was gibt's, Junge?« Der Junge runzelte die Stirn, als suchte er nach Worten, um einen besonders schwierigen Sachverhalt auszudrücken. »Mir ist komisch.«
    »Was ist los? Ist es dein Bauch? Hast du Hunger?«
    Flint schüttelte den Kopf Wie immer war er so ernst wie ein Metamorphosebruder beim Gebet. »Nein. Ich hab ein komisches Gefühl. Irgendwas kommt in Gang. Wird wach.« Er schloss einen Moment die Augen. »Nein. Nicht wach. Es schläft noch ... aber es kommt
näher.«
Er schlang die mageren Arme um seinen Brustkorb, als wäre ihm plötzlich kalt. »Es wird stärker. Jede Nacht im Schlaf höre ich das Singen. Ich bin schuld, sagt es. Ich bin schuld, und es wird herauskommen.«
    Chert öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. Er wusste, was auch immer er hatte sagen wollen —
›Keine Sorge, Junge, alles wird gut‹
oder
›Das sind nur schlechte Träume‹ —,
wäre eine Lüge. Und eines war bei Flint gewiss — ihn anzulügen nützte nichts. Er schien es immer zu merken. Seit dem Moment, da er in ihr Leben getreten war, seit ihm Opalia etwas zu essen gegeben hatte und er ihnen gefolgt war wie eine streunende Katze, hatte Chert immer das Gefühl gehabt, dass der Junge mehr wusste als er selbst. Und beunruhigend oft hatte Flint bewiesen, dass das stimmte.
    »Kann ich irgendetwas tun?«, fragte er stattdessen.
    Flint sah ihn an und hatte noch genug von einem verängstigten Kind, von reiner verängstigter Unschuld, dass Cherts Herz sich anfühlte, als würde es in seiner Brust zerspringen. »Ich weiß nicht«, sagte der Junge leise. »Ich glaube nicht. Aber manchmal habe ich das Gefühl, ich sollte nicht hier sein — ich sollte weggehen. Weit weg.«
    »Das kannst du nicht tun, Junge. Deine Mutter würde einen Stützpfosten werfen und eine tragende Wand zum Einsturz bringen. Auf dieser Erde ist nichts, nicht Kobold noch Südländer, das Opalia nicht fürchten würde.«
    Flint lächelte tatsächlich, ein winziges, schüchternes Lippenzucken, das Chert insgesamt erst ein, zwei Mal gesehen hatte. »Das sagst du immer, aber du hast nicht wirklich Angst vor ihr.«
    »O doch, Junge. Diese Frau ist fürchterlich, und ich habe mehr Angst, als du dir vorstellen kannst.«
    Flint musterte ihn, unsicher, ob er Spaß machte oder nicht. Chert wusste es selbst nicht genau. »Angst wovor?«
    »Dass ich sie enttäusche. Dass ich sie im Stich lasse. Dass sie am Ende zu dem Schluss kommt, sie hätte mich nicht heiraten sollen — hätte besser dran getan, den Antrag meines Bruders anzunehmen. Oh, er war ja so verschossen in sie, dein Onkel Knoll. Aber sie fand, er sei ein Dummkopf.« Er lachte. »Dummkopf — das hat sie

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