Das Herz
Kettelsmit benommen in die Knie brach. »Versteig dich nie zu der Unterstellung«, sagte der Reichshüter, jetzt plötzlich in scharfem Ton, »du seist wie ich. Das Blut, das in den Adern der Eddons und auch in meinen fließt, ist der heilige Saft vom Berg Xandos — das Blut der Götter selbst! Doch um das richtige Tor zu öffnen, muss dieses Blut aus einem lebenden Herzen vergossen werden, und ich versichere dir, meins wird es nicht sein.« Er lachte wieder, aber dieses Mal war es ein zerstreutes Grunzen. »Nein, wir müssen ein geeignetes Opfer finden. Fast alle Eddons sind ja fort ... Aber einer ist noch da, der das heilige Blut in sich trägt.«
Kettelsmit war verwirrt und verängstigt. Er hatte Tolly noch nie so reden hören — als ob er die verrücktesten der alten Geschichten für bare Münze nähme und danach zu handeln gedächte. »Eddon-Blut ...?« Wen konnte Tolly meinen — die alte Herzogin Merolanna? Aber sie war doch anderer Abstammung, oder? Nicht aus der Blutlinie der Eddons, was auch immer das tatsächlich heißen mochte — sie hatte nur einen Eddon geheiratet, genau wie Königin Anissa...
Anissa. Die hatte er fast vergessen. Tolly hatte sie schon die ganze Zeit manipuliert, lange bevor Kettelsmit selbst zum unfreiwilligen Helfer des Reichshüters geworden war. Anissa, die den König geheiratet und ihm das jüngste ...
»... Kind?« Verängstigt war Kettelsmit ja bereits gewesen, aber jetzt wurde ihm auch noch übel. »Ihr ... Ihr meint nicht das Kind, oder? Anissas Kind?«
Tolly nickte. »Den kleinen Alessandros, o doch. Er ist genau das, was ich brauche. Nimm dir ein paar Soldaten und hol ihn mir her. Tut aber Anissa nichts — ich brauche sie vielleicht noch.« Er stand jetzt wieder am Fenster und starrte auf die Lagerfeuer hinab.
Kettelsmit wünschte, es wäre nicht wahr, wünschte, er hätte sich verhört. »Ihr wollt, dass ich das Baby der Königin raube — den Sohn des Königs?«
»Falls du zu feige bist, ihn dir einfach zu schnappen, kannst du Anissa erzählen, was immer du willst«, sagte Tolly und machte eine Handbewegung, als wäre es eine ganz alltägliche Aufgabe, einer Frau das einzige Kind zu rauben. »Sag ihr, ich möchte, dass ihm die Priester einen besonderen Segen erteilen oder etwas Derartiges. Nein, dann will sie bestimmt mitkommen. Es ist mir egal, Dichter — die Zeit drängt! Schaff mir einfach nur das Kind her. Nimm zwei Wachen mit. Zu dritt solltet ihr ja wohl mit einer kleinen Devonisierin fertig werden. Geh jetzt, verdammt! Beeil dich!«
Kindsräuber.
Kettelsmit stolperte aus dem Gemach des Reichshüters und fragte sich, wie er in den finstersten, grässlichsten Abgründen des Jenseits gelandet war, ohne sich daran erinnern zu können, gestorben zu sein.
Salpeters Lehrling sah aus, als ob er Chert nicht ganz glaubte. »Seid Ihr sicher, dass Ihr nur zwei Esel wollt?«
»Ja, gerade genug, um den Karren zu ziehen.« Chert deutete mit dem Kinn auf die Reihe der wartenden Männer, hauptsächlich Steinhauer, die zu alt für die tägliche Arbeit waren, aber bereit, für die Rettung von Funderlingsstadt zu tun, was sie konnten. Er fragte sich, was sie wohl zu seinem Plan sagen würden, wusste aber, er konnte es nicht riskieren, sie einzuweihen, ehe sie vor Ort waren, weit genug weg vom Tempel und der Versuchung, das eine oder andere Wörtchen fallenzulassen. »Der Rest wird zu Fuß getragen. Vor uns liegen schmale Pfade. Über einige Stellen müssen wir die Esel vielleicht hinüberheben.«
»Ich hab genug eigene Probleme«, sagte der Lehrling. »Zinnober und der Rest von diesen unmäßigen Zunftleuten erwarten von uns, dass wir jetzt am Tag noch fünf Fass mehr machen — fünf!«
Hier, in diesem ruhigen Teil des schützenden Erdgrunds, war es zweifellos manchmal schwierig, im Kopf zu behalten, was nur ein kleines Stück weiter los war. Trotzdem, dachte Chert, würde es Salpeter und seinen Gehilfen vielleicht nicht schaden, mal für einen Tag ihre Sprengpulverfabrik zu verlassen und das andere Ende des Tempelgeländes zu besuchen, wo die Heiler den ganzen Tag Schwerarbeit leisteten und wo sogar jene Männer, die im Kampf nicht schlimm verletzt worden waren, Gesichter hatten wie schlecht gemachte Puppen, mit Augen, so leblos und starr wie Knöpfe.
»Es ist Krieg, wisst Ihr«, war alles, was Chert sagte.
»Oh, bei den Alten der Erde,
das
weiß ich. Nachdem wir uns abgerackert haben, um das Zeug herzustellen, sollen wir es jetzt auch noch an fünfhundert Ellen Seil
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