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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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kann,
Dann ist sie's, o Himmels Gnad,
Die an Sivedens Stelle trat ...«
    »Genug.« Tolly machte eine schnelle Bewegung aus dem Handgelenk wie jemand, der das Blut in seine abgestorbenen Finger zurückschüttelt; danach steckte sein Schwert wieder in der Scheide. »Jetzt gieß mir einen Becher Wein ein — du kannst dir auch einen nehmen, falls dir danach ist. Auf dem Tisch steht ein mittelmäßiger Perikal. Du erkennst ihn leicht, es ist der einzige Krug, der noch aufrecht steht. Danach kannst du mir von dem Gottstein berichten.«
    Kettelsmit fischte den Wein aus dem Schlachtfeld auf dem Tisch. Dabei bemerkte er erstmals ein seltsames Kleiderbündel in der Zimmerecke, ein Bündel, aus dem ein nackter Männerfuß ragte. Kettelsmit fühlte, wie ihm der Mageninhalt in die Kehle stieg, würgte ihn hinunter und stützte sich dann einen Augenblick mit geschlossenen Augen auf den Tisch, um sich wieder in den Griff zu bekommen.
    »Warum dauert das so lange?« Tolly drehte sich um. »Ach, der, ja, dieses Schwein von einem Diener wird mir nie wieder erklären, dass wir keinen Rotwein haben.« Er lachte unvermittelt auf. »Als das Blut aus ihm herauslief, habe ich gesagt: ›Was meinst du? Muss der Rote da ein wenig atmen?‹ Er hat nicht gelacht.«
    Bemüht, das stille Ding in der Ecke nicht anzuschauen, brachte Kettelsmit ihm den Wein und kippte seinen eigenen schnell hinunter.
    Tolly nahm einen langen, genüsslichen Schluck. »Jetzt sprich?«
    Matty Kettelsmit tat sein Bestes, die Tage und Nächte des Bücherstudiums zu etwas Leichtverständlichem zusammenzufassen, was jedoch nicht so einfach war. Er erklärte Tolly, der nicht besonders aufmerksam zuzuhören schien, dass die Sekte der Hypnologen geglaubt hatte, die Götter seien nicht wach, sondern berührten die Menschen nur von Traum zu Traum, und der Göttersturz habe genau hier stattgefunden, in der Südmarksburg — oder zumindest ganz in der Nähe.
    »Der Stein war hier. Er stand in der Erivor-Kapelle, verarbeitet zu einer Statue des Kernios.«
    »Der alte Hahnrei«, sagte Tolly mit einem ärgerlichen Lachen. »Verstehst du, selbst hier versucht der alte Kernios sie gefangen zu halten. Aber das kann er nicht. Nein, was juckt mich so ein magischer Stein! Wenn der Autarch das Tor zum Land der Götter ohne ihn zu öffnen vermag, vermag ich es auch! Wir haben bewiesen, dass du die Worte, die den Spiegel öffnen, genauso gut sprechen kannst wie Okros! Sogar besser, da du noch im Besitz deines Lebens und deiner beiden Arme bist!«
    »Herr?« Kettelsmit fragte sich plötzlich, ob Tolly auch nur ein Wort von dem hörte, was er da sagte. »Ich verstehe nicht ...«
    »Natürlich nicht, also halt den Mund und hör zu. Ich habe Monate mit Okros verbracht, um zu lernen, welche Wahrheit sich hinter anderen Wahrheiten verbirgt. Die
Hypnologoi
haben ein Zeichen, an dem sie sich gegenseitig erkennen — Okros war selbst einer! Ihr Wissen ist geheim und wird nur unter Glaubensbrüdern weitergegeben ... und an gewisse andere Personen wie etwa mich, die ihre Forschungen finanzieren.
    Wir sprechen vom
Land der Götter,
Dichter — ebenjenem Ort, von dem ihr Versedrechsler immer faselt. Dem Ort, wo die Götter schlafen und träumen. Der Autarch trachtet danach, ihn zu öffnen und sich die Macht, die er birgt, anzueignen. Aber das kann ich genauso gut wie er — Okros war dafür gerüstet, es war zeitlebens sein Studieninhalt, verstehst du? —, und ich habe alles, was ich dafür brauche. Der Stein ... das ist etwas anderes, Schnickschnack, eine reine Vorsichtsmaßnahme, von der mir Okros schon gesagt hat, dass sie wahrscheinlich nicht nötig sein würde. Wir haben einen Spiegel, der die Funktion bestens erfüllen wird, ob der Südländer nun auch einen hat oder nicht. Aber was wir brauchen, Dichter, was wir jetzt noch brauchen ... ist das
Blut.«
    Kettelsmit war schockiert. Mit rasendem Herzen wich er einen Schritt zurück. »Aber, Protektor Tolly, Herr, ich habe so hart für Euch gearbeitet ...«
    Tolly lachte noch lauter. »Glaubst du etwa, ich meine dich? Glaubst du, irgendeine Unsterbliche käme angerannt, wenn sie die Dreckbrühe riecht, die in deinen Adern fließt? Zumal, wenn sie tausend Jahre oder länger geschlafen hat?« Er warf den Kopf in den Nacken und lachte noch lauter, und es lag etwas Wahnsinniges in diesem Lachen. »Oh, so erheitert war ich den ganzen Tag noch nicht!
Dein
Blut! Du Narr von einem Dichter!« Er trat auf ihn zu und schlug ihm so fest ins Gesicht, dass

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