Das Herz
die wenigen hundert Qar herfallen und sie hinwegfegen, wie ein Sturm die Meereswellen zu Gischt zerpeitscht.
Barrick konnte nicht innehalten, um über die aussichtslose Situation nachzudenken. Rings um ihn herum tobte jetzt der Kampf: Speere schnellten auf ihn ein wie zustoßende Schlangen; die bärtigen Xixier knurrten und jappten wie Hunde, die sich auf einen Abfallhaufen stürzen. Seine Qar-Rüstung war so leicht, dass er sie kaum spürte, aber es kostete immer mehr Kraft, einfach nur am Leben und auf den Beinen zu bleiben, und jetzt stürmten noch mehr Feinde auf sie zu, viele davon zu Pferd. Und als hätte der Tumult sie geweckt, drohten jetzt auch noch die Feuerblumenstimmen sein Denken zu überschwemmen.
Am Berg der Tränen — die Grauen rücken vor ...
Ach! Meine Königin, meine Schwester, nimm die Kinder und flieh ...!
Stell dich, Seelentrinker ...
Augenblicke, die Barrick nie selbst erlebt hatte, brachen über ihn herein, und betäubt von so vielen neuen Gedanken wurde er langsamer. Ein xixischer Speer glitt an seinem Schild vorbei und bohrte sich in das Gelenk seiner Rüstung zwischen Schwertarm und Schulter. Er stolperte und ließ beinah das Schwert fallen, als eine Linie aus Feuer über seine Haut und seine Muskeln zuckte. Einer der Trickster — der dunkelste, Rätselzung — sprang ihm zur Seite und fing einen zweiten xixischen Speerstoß mit seinem Armschild ab, der kaum mehr war als ein gepolstertes Stück Röhrenknochen, zu groß, um von irgendeinem Lebewesen zu stammen, das Barrick kannte. Dann attackierte der Trickster den Angreifer seinerseits mit dem Speer, einem nadelspitzen, elfenbeinfarbenen Ding, nur wenige Spannen länger als ein Schwert.
Rasha,
flüsterte es in Barricks Kopf.
Der Zahn.
Der Trickster riss den Arm hoch und lenkte einen weiteren Stoß mit seinem Armschild ab.
Omuro-nah,
flüsterten die Feuerblumenstimmen.
Der Knochen.
Rasha-sha, omuro-nah, rasha-sha, omuro-nah,
sangen Geister von hundert verschiedenen Schlachtfeldern in hundert verschiedenen Zeitaltern.
Zahn und Knochen, Zahn und Knochen!
Sie hatten es oft im Siegesrausch gesungen, noch öfter aber, während ihre Mitstreiter neben ihnen fielen und sie selbst den Ring bildeten, der die Niederlage so lange wie möglich hinauszögern sollte.
Ihr werdet uns nicht sehen, weil wir uns im Dunkel verstecken. Ihr werdet uns nicht fühlen, ehe es zu spät ist. Ihr werdet uns nicht besiegen, weil wir sterben, die Zähne in eure Kehlen geschlagen — Zahn und Knochen, Zahn und Knochen ...!
Barrick eilte vorwärts, um an der Seite dieser altvertrauten und doch fast fremden Mitstreiter zu kämpfen. Er versuchte sich an alles zu erinnern, was ihn Shaso gelehrt hatte. Jeder neue Augenblick war so voll mit scharfen Klingen und schreienden Gesichtern, dass eine Zeitlang selbst der Gesang der Feuerblume an ihm abperlte, unbemerkt wie leichter Regen.
Schließlich hielt er inne, um sich auszuruhen: Seine Lunge brannte, Schweiß brannte ihm in die Augen, Dutzende kleiner und großer Schnittwunden brannten ebenfalls. Er staunte über seine eigene Kraft und Ausdauer; nicht einmal die Trickster konnten da mithalten.
Sie haben dein Blut geweckt,
seufzte eine Stimme in Worten, die er kaum von dem Getöse um sich herum zu unterscheiden vermochte.
Ynnir?
Sprecht mit mir!
Benommen sah er sich um. Die Südländer verloren an Boden, aber noch immer regnete es xixische Pfeile: Sie schwirrten urplötzlich heran und zitterten im aufgewühlten Strandboden wie seltsame Feldpflanzen.
Es sind so viele, Herr! Was kann ich tun, um Saqri zu helfen?
Du kannst für Beeilung sorgen,
erklärte die Stimme.
Morgen ist Mittsommer. Wenn der Südländerkönig euch bis morgen hier festhalten kann, hat er gewonnen — er ist schon fast an seinem Ziel.
Für Beeilung sorgen? Wie denn?
Sag meiner Schwester-Gemahlin, dass ihr und der Rest des Volkes eure Aufgabe hier erfüllt habt. Ihr müsst einen Weg hinab in die Tiefe finden, denn bald ist es zu spät ... zu spät ...!
Die ohnehin schon schwache Stimme des Königs verlor sich ganz.
Barrick konnte Saqri nicht finden. Die Sonne war hinter den Hügeln versunken, aber das war nicht der Grund. Er konnte viel besser sehen, als zu erwarten gewesen wäre, sodass die Nacht ihm nicht dunkler erschien als später Nachmittag. Wie bei einer Katze nutzten seine Augen Licht, das er zuvor nie wahrgenommen hatte, Licht, das Dingen, die normalerweise undeutlich und grau gewesen wären, Konturen und Farben verlieh. Und seine
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