Das Herz
noch nie erlebt hatte. »Es sei denn, du willst nicht die Gelegenheit versäumen, mit deinesgleichen zu sprechen?«
Barrick schüttelte den Kopf. Schon der Gedanke war schrecklich anstrengend. »Ich erinnere mich kaum daran, je mit meinesgleichen gesprochen zu haben, und ich verspüre keinen besonderen Drang, es je wieder zu tun. Wer sind sie überhaupt? Wisst Ihr's schon?«
Wieder schien Saqri zu überlegen. »Sie stehen unter dem Befehl eines Prinzen von Syan. Man hat mir gesagt, sein Name sei Eneas.«
»Enanders Sohn? Den kenne ich vom Hörensagen. Er soll ein braver Mann sein.« Barrick ließ den Kopf wieder aufs Kissen sinken. »Wenn ich wirklich gebraucht werde, schaffe ich's schon. Dann komme ich ...«
»Du hast mich überzeugt«, sagte die Königin. »Bleib hier. Ruh dich aus und schöpfe Kraft.« Sie beugte sich herab und küsste ihn auf die Stirn — eine Berührung, so trocken wie Papier.
Als Saqri gegangen war, trat Perle des Sonnenuntergangs wieder an sein Lager, in der Hand einen Becher. »Trinkt das«, sagte sie. »Ich glaube, es wird Euch nicht schaden, könnte Euch aber sehr guttun.«
Er starrte sie an. Er war jetzt wirklich müde, musste sich bemühen, die Augen offen zu halten. »Ihr
glaubt,
dass es mir nicht schadet?«
Sie sah ihn ungnädig an. Sie hatte etwas von einer Katze, einer Katze allerdings, die viele Jahre und viele Enttäuschungen erlebt hatte. »Ich habe meine Kunst noch nie auf einen Sterblichen angewendet. Tröstet Euch damit: Falls Ihr unter schrecklichen Qualen sterbt, weiß ich wenigstens beim nächsten Sterblichen, was ich besser nicht tue.«
Wider Willen musste er lachen. »Und was glaubt Ihr, wer Euch anderen Sterblichen weiterempfehlen wird, wenn Ihr mich umbringt?« Er setzte den Becher an die Lippen, schloss die Augen und versuchte, diese unerwarteten, aber nicht gänzlich unangenehmen Aromen zu deuten.
»Ihr seid nicht aus freien Stücken zu mir gekommen, Barrick Eddon«, sagte die Heilerin, »und ich glaube nicht, dass es bei den anderen, die meine Hilfe brauchen, anders sein wird.« Ihre Miene war weniger amüsiert als resigniert. »Tatsächlich rechne ich damit, hier etliche tote und sterbende Menschen zu sehen. Jetzt trinkt das aus, Rotschopf.«
Barrick stutzte — der Spitzname klang irgendwie vertraut. Er legte sich hin und machte die Augen zu. »Merkwürdig«, erklärte er der Heilerin, als wäre sie noch da. »Ich bin sicher, jemand hat mich immer so genannt ... aber ich weiß nicht mehr, wer.«
Die xixische Karacke, oder was noch von ihr existierte, war von der Flut weit auf den Sand geschwemmt worden, aber das mächtige Schiff loderte immer noch wie ein Zosimia-Feuer, viel heller als die nicht gerade kleinen Lagerfeuer, die die syanesischen Soldaten am Strand entzündet hatten.
Südmarksburg lag gleich dort jenseits des Buchtarms. Nach so langer Abwesenheit konnte sich Briony immer noch nicht recht an diesen Gedanken gewöhnen — ihr
Zuhause
wartete dort drüben. So wie das brennende Schiff das Feuer, das sie mit Eneas und seinen Offizieren teilte, weit überstrahlte, leuchteten die Fackeln auf den Mauern der Burg viel heller als die Sterne über der rauchverhangenen Bucht.
»Ist Euch warm genug, Prinzessin?«, fragte Eneas.
Fast hätte sie gelacht. Noch vor wenigen Stunden hatten Männer sie mit Speeren und Schwertern zu töten versucht. »Es ist alles in Ordnung, danke. Wann kommen sie?«
»Der Bote sagte ...« Eneas hielt einen Moment inne. »Da, schaut. Sie kommen.«
Eine seltsame Prozession kam im Licht der immer noch schwelenden Schiffe den Strand entlang. Einige der Syanesen, die um ihre Feuer saßen, standen auf und wichen zurück, obwohl die Qar keinem von ihnen nahe kamen. Briony verstand ihren Argwohn. Niemand konnte so viele bizarre Gestalten mit derart bizarren Bewegungen an sich vorbeiziehen sehen oder in all diese orange-, gelb- oder sumpflicht-grünglühenden Augen blicken, ohne das Gefühl zu haben, dass etwas sich für immer verändert hatte, und zwar nicht unbedingt zum Besseren.
Die Qar näherten sich dem Feuer des Prinzen auf wenige Schritt und blieben dann stehen. Im ersten Moment wunderte sich Briony darüber, doch dann trat eine weißgewandete, schlanke Gestalt vor.
»Dürfen wir Euer Feuer teilen?« Die Stimme der Frau hatte eine seltsame Melodie — die Worte verstand Briony erst im Nachhinein.
»Ich bin Saqri, die Herrin von Qul-na-Qar. Ihr würdet mich die Königin dieser Leute nennen.«
»Gewiss, Majestät«,
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