Das Herz
sagte Eneas. »Ihr seid uns willkommen.«
Saqri winkte ein kleines Grüppchen ihrer Leute mit sich ans Feuer; die übrigen, zwei, drei Dutzend höchstens, setzten sich prompt auf den Boden. Erleichtert wandten sich die Soldaten des Prinzen wieder ihrem verdienten Mahl zu oder fuhren mit dem Verbinden ihrer Wunden fort. Ihre Toten hatten sie bereits begraben. Die Syanesen hatten viele Männer verloren, die Xixier jedoch wesentlich mehr.
Die Zwielichtlerkönigin entsprach überhaupt nicht Brionys Erwartungen. Sie war schön, gewiss: die Haut so schimmernd weiß wie Schnee, die Augen so groß und schwarz, dass Briony Angst hatte, länger als einen Augenblick hineinzuschauen. Doch wenn ihre Schönheit und übernatürliche Ruhe Saqri auch über jede sterbliche Monarchin erhoben, war sie nicht groß. Briony überragte sie um mindestens eine halbe Spanne. Und alle Anmut konnte nicht gänzlich verbergen, wie müde und zerschunden die Qar-Frau war.
Eneas bot den Gästen Wein an, und zu Brionys Erstaunen nahmen Saqri und die meisten ihrer Gefährten dankend an, obwohl einige Probleme damit hatten, aus einem Becher zu trinken. Als alle versorgt waren, räusperte sich Eneas.
»Königin Saqri«, sagte er, »wir sind dankbar für Eure Unterstützung im Kampf gegen die Xixier, doch ehe wir von anderen Dingen sprechen, muss ich eines wissen. Sind wir noch im Krieg miteinander, Eure Leute und meine?«
Der Mund der Zwielichtlerkönigin verzog sich kurz zu etwas, das ein Lächeln sein mochte. »Da stellt Ihr eine gute Frage.« Für einen Augenblick glitt der durchdringende Blick der Qar-Frau von ihm zu Briony, die ihm nicht standhalten konnte und wegsah; sofort ärgerte sie sich über sich selbst. »Die Antwort, Prinz Eneas«, erklärte Saqri, »lautet, dass wir sind, was wir heute Abend an diesem Feuer aus uns machen. Aber eines müsst Ihr wissen! Auch wenn wir weiter Verbündete bleiben, werden wir doch nie Freunde sein.« Sie sah wieder Briony an. »Eure Leute — und vor allem die dort auf der Burg — haben mir Dinge genommen, die nicht ersetzbar sind, und Taten begangen, für die es kein Verzeihen gibt.« Die Zwielichtlerkönigin sprach mit solcher Verve, dass Briony spürte, wie die Syanesen um sie herum alarmiert aufmerkten. »Aber ich bin nicht Yasammez, die dunkle Fürstin, der ihr bereits begegnet seid und die ihr bereits fürchtet«, erklärte Saqri, jetzt wieder in gemessenerem Ton. »Sie ist diejenige, die Krieg gegen Südmark geführt hat ... obwohl ich zugeben muss, dass ich nicht versucht habe, sie davon abzubringen. Ihr Hass auf euch ist unheilbar. Doch in dieser Angelegenheit hier habe ich anders entschieden als sie, und das Volk folgt mir.« Saqri hob die nach oben gekehrten Hände. »Also, Prinz von Syan, ist zwischen unseren Völkern Friede, solange wir gemeinsam kämpfen. Es wird keinen Verrat geben. Jedenfalls nicht durch meine Leute.«
Eneas nickte. »Durch meine auch nicht, das schwöre ich. Also sollten wir die Vergangenheit beiseitelassen und von dem sprechen, was jetzt wichtig ist. Was habt Ihr vor? Ist der Autarch wirklich in die unterirdischen Gänge unter der Burg hinabgezogen, wie man mir sagt?«
»Mit Sonnenaufgang bricht der Tag an, den Ihr Mittsommerabend nennt«, sagte Saqri. »Der Tag danach ist Mittsommer, und wenn der Mittsommertag endet, wird die Stunde, die wir fürchten, gekommen sein. Das Jahr beginnt zu sterben. Die Sonne macht sich auf ihre langsame Reise weg von der Erde, und die Geister der Zwietracht frohlocken.« Sie hob warnend die Hand. »Wenn der Südländerkönig, Autarch Sulepis, die wenigen Funderlinge, die ihm noch Widerstand leisten, schlägt und bis Mitternacht des Mittsommertags sein Ziel in der Tiefe unter der Burg erreicht, wird er in der Lage sein, das Ritual zu vollziehen. Er wird das Tor des Traums öffnen und die Götter befreien.«
»So etwas habe ich noch nie gehört, nicht einmal in alten Geschichten«, sagte Eneas. »Warum sollte er das tun?«
»Es heißt, der Südländerkönig will sich einen Gott untertan machen ... aber dieser Sulepis wird vielleicht nicht so viel Macht ausüben können, wie er glaubt.« Die Qar-Frau sprach leise, doch alle am Feuer spitzten die Ohren, um sie verstehen zu können. »Er könnte eine Tür öffnen, die sich nicht wieder schließen lässt. Und nichts ... nichts ... garantiert, dass die Götter, die dort herauskommen, wach und bei Verstand sind.« Saqri machte eine merkwürdige Geste mit den gespreizten Händen zu beiden
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