Das Herz
Lohn erhielt?
Sie seufzte, riss eine Handvoll feuchtes Gras aus und warf es in die Luft. Der Wind ergriff es und trug es einen Moment mit sich fort, ehe er es wie ein gelangweiltes Kind fallen ließ.
»Ihr habt nach mir geschickt, Hoheit?«, fragte sie.
Eneas runzelte die Stirn. »Bitte, Briony. Prinzessin. Sprecht nicht mit mir, als wären wir nie Freunde gewesen.«
Ihr wurde klar, dass er recht hatte. Sie verhielt sich ihm gegenüber förmlich und steif »Ich ... Tut mir leid, Eneas. Es war nicht so gemeint. Ich habe nicht gut geschlafen.«
Er sagte mit einem traurigen Lächeln: »Da seid Ihr nicht die Einzige. Aber jetzt habe ich entschieden, was ich zu tun habe — was der gesunde Menschenverstand ebenso gebietet wie das Ehrgefühl.« Er nickte. »Ich werde bei Euch bleiben, Briony Eddon. Wir reiten weiter nach Südmark.«
Briony hatte innerlich schon angesetzt, ihm zu erklären, dass sie nichts anderes erwartet habe, und ihm für alles zu danken, was er für sie getan hatte. Ja, sie überlegte bereits, was sie billigerweise noch von ihm erbitten könnte, außer dem Pferd und der Rüstung, die er ihr bereits überlassen hatte, als plötzlich zu ihr durchdrang, was er gesagt hatte. »Was? Ihr wollt ... bei mir bleiben?«
»Ich habe mein Wort gegeben. Und mir ist klargeworden, dass ich, solange ich Jino und andere Freunde in Weithall habe, nicht so von den Geschehnissen dort abgeschnitten bin, wie ich vielleicht manchmal glaube. Selbst in dem Fall ... die Brüder und sämtliche Götter mögen es verhindern ... selbst in dem Fall, dass meinem Vater etwas zustieße, ist das Königreich gefestigt ... und der Thron sicher.« Er lächelte, obwohl es ihm sichtlich nicht leicht fiel. »Wenn Ananka meinem Vater einen Erben geschenkt hätte, sähe es vielleicht anders aus.«
So wie Anissa meinem Vater,
dachte Briony, sagte es aber nicht. Der Gedanke hallte in ihrem Kopf nach, aber sie schob ihn weg, um sich später damit zu befassen. »Hoheit ... Eneas ... ich weiß nicht, was ich sagen soll?«
»Dann sagt nichts. Und glaubt nicht, ich täte es nur aus moralischer Verpflichtung. Eure Gesellschaft bedeutet mir viel, Briony — und Euer Glück auch. Und außerdem bin ich neugierig, was dort im Norden passiert. Jetzt geht bitte und macht Euch reisefertig. Wir brechen in einer Stunde auf, und ich muss noch einen Antwortbrief an den guten Erasmias Jino aufsetzen.«
Sie ließ ihn mit Feder und Pergament allein und ging zu ihrem Zelt zurück. Ihr war, als ob sie sich unversehens auf einer anderen Straße wiederfände und sich dadurch vieles verändert hätte und noch viel mehr ändern würde.
3
Das Siegel des Krieges
»Seine Eltern nannten ihn Adis, und als er alt genug war, schickten sie ihn die Herden hüten. Er war fromm und brav und liebte seine Eltern fast so sehr, wie er die Götter liebte ...«
Der Waisenknabe, sein Leben und Sterben und himmlischer Lohn — ein Buch für Kinder
Chaven und Antimon hatten Fackeln, wenn auch der junge Funderlingsmönch seine nur dem Arzt zu Gefallen trug. In der ganzen großen Höhlenkammer namens Silbersands Tanzhalle glommen nur wenige Leuchten, da die Qar nicht mehr Licht brauchten als die Funderlinge ... nun ja, viele jedenfalls. Chaven hatte schon welche gesehen, die gar kein Licht brauchten, weil sie keine Augen zu haben schienen, und er hatte andere gesehen, die riesige Augen hatten und schon beim kleinsten Lichtschimmer zusammenzuckten und blinzelten. Diese Vielfalt war wirklich erstaunlich?
»Wie kann das sein?«, fragte Bruder Antimon leise. »Gewiss, der Große Gott hat den Menschen mancherlei Größe und Gestalt gegeben — nehmt nur mal Euch und mich? —, aber warum sollte er eine Sorte Geschöpfe in so vielen verschiedenen Ausprägungen erschaffen?«
Chaven konnte das nicht beantworten. Er hätte am liebsten jeden einzelnen Qar unter einer hellen Lampe mit Lupe, Messzirkel und Zollstock untersucht, doch im Moment hatten er und Antimon eine wichtigere Aufgabe: für das Wohlbefinden dieser neuen Verbündeten zu sorgen (und dabei heimlich deren Stimmung zu erkunden). Vansen hatte ihn darum gebeten, also hatte Chaven sich Antimon, den aufgeschlossensten der Metamorphose-Brüder, zum Begleiter erkoren.
»Ich habe gerade erst gedacht, wie viel wir von diesen Wesen lernen können«, erklärte Chaven dem Funderling. »Selbst Phayallos gibt zu, dass damals, vor Jahrhunderten, als sie noch Seite an Seite mit uns lebten, kaum ordentliche Studien angestellt wurden. Die
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