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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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meisten Werke, die die Qar aufgrund eingehender Untersuchungen zu beschreiben behaupten, entpuppen sich leider als eine Ansammlung von Hörensagen und abergläubischen Vorstellungen.«
    »Es ist kein Aberglaube, etwas zu fürchten, das an Aussehen und Verhalten so anders ist«, sagte Antimon, noch immer mit gedämpfter Stimme. »Und ehrlich gesagt, Hofarzt Chaven, ich fürchte diese Geschöpfe auch.« Die Höhlenkammer schien erfüllt von brodelndem Schatten, einem einzigen, vielgliedrigen Wesen, wie etwas, das in einem Gezeitentümpel umherkroch. »Selbst wenn es ihr ehrliches Bestreben ist, den Autarchen zurückzuschlagen, wer sagt uns, was passiert, wenn wir es überleben? Selbst wenn es uns irgendwie gelingt, den Herrscher des Südkontinents und seine Tausende und Abertausende Männer zu vertreiben — was ist, wenn diese Qar hinterher beschließen, wieder das zu tun, was sie vorher getan haben — uns zu töten?«
    Es gefiel Chaven, den jungen Mann seinen Verstand so stringent benutzen zu sehen. Er hatte recht gehabt — der Bursche hatte das Zeug zum Gelehrten. Leopardstein Jaspis, der letzte Funderling, der regelmäßig zur wissenschaftlichen Diskussion beigetragen hatte, war gestorben, als Chaven ein kleiner Junge gewesen war. »Ihr stellt da eine gute Frage, Bruder Antimon, und Hauptmann Vansen und Euer Magister Zinnober denken auch schon darüber nach. In meinen Augen ist das im Augenblick alles, was wir tun können ... darüber nachdenken. Denn auch nur an den Punkt zu gelangen, uns mit diesem Problem praktisch auseinandersetzen zu müssen, wäre ein erstaunlicher, unerwarteter Triumph.« Er schüttelte den Kopf. »Verzeiht — ich will nicht pessimistisch sein.«
    Trotz seines Geständnisses von eben schien Antimon eher fasziniert als verängstigt. »Schaut Euch den da an — der glüht wie eine heiße Kohle! Er sieht aus, als wäre er nichts weiter als Feuer in einem Panzerkleid — oder ist dieses Panzerkleid ein Teil von ihm, so wie die Schale eines Krebses?«
    »Das kann ich nicht sagen, aber ich glaube, er gehört zur Garde der Elementargeister. «
    »Woher wisst Ihr das?«, fragte der Mönch beeindruckt.
    Chaven zuckte die Achseln. »Nur daher, dass Vansen es mir gesagt hat — er meinte, das seien die, die am ehesten Schwierigkeiten machen würden. So wie
unsere
Freunde nicht durchweg begeistert von der Vorstellung sind, sich mit den Qar zusammenzutun, gibt es auch unter den Qar unterschiedlich denkende Gruppen, und diese Elementargeister gehören offenbar zu den ... unangenehmsten.« Er unterdrückte ein Schaudern. »Dennoch, die Fragen bezüglich der Lichtbrechung, die diese Wesen aufwerfen, sind mehr als interessant ...!«
    Sie beobachteten, wie eine wahre Parade bizarrer Gestalten die große Höhle füllte: einige kleiner als jeder Funderling, andere nur als Riesen zu bezeichnen. So vielgestaltig waren die Qar, dass sich oft schwer sagen ließ, welche Kreaturen Krieger waren und welche Lasttiere. Einige erkannte Chaven nach den Beschreibungen bei Phayallos und Ximander wieder, andere waren ihm ein völliges Rätsel. Ab und zu marschierte plötzlich ein fleischgewordenes kryptisches Zitat aus einem alten Buch an ihm vorbei und blieb sogar stehen, um ihn misstrauisch zu beäugen. Er erklärte Antimon das wenige, was er wusste, und redete mehr als gewöhnlich, teils wegen des Genusses, ein intelligentes Publikum zu haben (im Gegensatz zu diesem Tölpel Toby, seinem sogenannten Gehilfen, der kaum mehr gewesen war als ein besonders nichtsnutziger Diener), teils aber auch, um nicht seinen eigenen bangen Gedanken lauschen zu müssen.
    Schließlich verstummte Chaven, nicht weil die zuletzt eingetroffenen Qar weniger sonderbar und interessant gewesen wären, sondern weil ihm aufging, wie eitel sein Wissen war. Da stand er nun inmitten der faszinierendsten Anschauungsobjekte, die sich ein begeisterter Wissenschaftler nur wünschen konnte, und alles sprach dafür, dass weder er noch diese wundervollen, furchterregenden Qar das bevorstehende Gemetzel überleben würden.
    So werde ich denn in diesem Krieg eine Rolle spielen, die jeder Dummkopf spielen könnte, und die Gelegenheit zu wahrer wissenschaftlicher Arbeit wird vergeudet ...
    Und der grausame Kampf, der mit jedem Moment näher rückte, war nicht seine einzige Sorge. Schon lange beunruhigte Chaven die Tatsache, dass in seiner Erinnerung mindestens ein ganzer Tag fehlte. Er war an einem Himmeltag noch in Funderlingsstadt gewesen, dann am Windstag zum

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