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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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angelegte Stollennetz entdecken würden. Es war für ihn eine schreckliche Entscheidung ... und wir schämen uns immer noch für das, was damals geschah. Ich bin sicher, er wollte nur, dass die Soldaten der Südmarksburg die Qar verscheuchten ...«
    »Ihr versucht, Mord schönzureden«, sagte Yasammez. »Denn das war es, was geschah. Die Tiefengräber verrieten Kellick dem Eddon, dass die Qar kommen würden. Der Eddon ging selbst mit seinen Soldaten, sie abzufangen. Er raubte Sanasu, tötete ihren Bruder Janniya und besiegelte damit den Untergang meines Volkes ...«
    »Es war ein Kampf«, sagte Vansen zu ihr. »Ihr stellt es hin wie Mord!«
    Yasammez' Gesicht war steinern. »Janniyas und Sanasus ganze Begleitung waren zwei Krieger und ein Eremit — ein Priester, wie Ihr ihn nennen würdet. Der Eddon trat ihnen mit über zweimal zwanzig Bewaffneten entgegen, und danach war Sanasu eine Gefangene und der Rest der Qar tot. Nennt das, wie Ihr wollt.«
    Vansen sah sie an. Yasammez sei das Kind eines Gottes, hieß es, aber sie war doch bei aller Seltsamkeit auch eine lebendige Frau. Sie war zornig — da war eine Bitterkeit in ihr, die er kannte und die schwer loszulassen war. So hatte sein Vater gegenüber den Bauern von Littelstell empfunden, weil sie ihn seines vuttischen Blutes wegen auch nach zwanzig Jahren noch als einen Fremdling behandelten. Und mit dieser Bitterkeit im Herzen war er gestorben; noch auf dem Totenbett hatte er niemanden sehen wollen, der nicht zur Familie gehörte.
    Wie seltsam, dachte Vansen inmitten all dieser welterschütternden Geschehnisse, dass er plötzlich keine Wut mehr auf den Mann verspürte, der ihn gezeugt hatte, keinen Gram — als ob sie sich jetzt endlich versöhnt hätten, obwohl Pedar Vansen schon viele Jahre tot war. Was hatte sich verändert?
    »Wenn das alles wahr ist«, sagte er laut in die flüsterrauhe Stille, »dann gibt es für Markenländer wie Funderlinge nichts mehr zu sagen als ... dass es uns leid tut. Wir Lebende haben diese schrecklichen Taten nicht begangen — ja wussten zum größten Teil bis eben nichts davon —, aber wir entschuldigen uns dennoch dafür.« Er wandte sich an Malachit Kupfer. »Gilt das auch für Euch?«
    »Beim Heißen Herrn, gewiss!«, sagte Kupfer und schlug sich die Hand vor den Mund, weil er hier in der Kapelle der Metamorphose-Brüder einen so gotteslästerlichen Ausdruck gebraucht hatte. »Seit ich das Mannesalter erreicht hatte und mein Vater mir dieses lastende Geheimnis eröffnete — so wird es jeweils an das künftige Oberhaupt der Kupfersippe weitergegeben —, habe ich meines Urgroßvaters nur noch mit Bestürzung gedacht. Ich glaube, er meinte es gut, beging aber ganz eindeutig ein Unrecht. Wenn der Rest meiner Familie davon wüsste, würden sie gewiss genauso empfinden wie ich und sich dieser Familienschande schämen.« Er zuckte die Achseln. »Mehr gibt es da nicht zu sagen.«
    Yasammez blickte von ihm zu Vansen und starrte dann stumm ins Leere, wobei Vansen sich fragte, mit wem sie in Gedanken sprach. Dann fasste sie den großen, dunklen Rubin, der um ihren Hals hing, zog die schwere Kette über den Kopf und ließ sie mit einem lauten Klirren auf den Refektoriumstisch fallen. Unter den verdutzten Blicken der übrigen Versammlung zog sie ihr seltsames Schwert — reinweiß, aber doch schimmernd wie Perlmutt — und legte es ebenfalls vor sich auf den Tisch, auf die dazugehörige Scheide.
    »Dies ist das Siegel des Krieges«, sagte sie und zeigte mit einem langen schlanken Finger auf den Stein, der so traurig glomm wie ersterbende Glut. »Da ich es trage, sind die Entscheidungen über Leben und Tod, die ich treffe, von bindender Kraft für das Volk — die Qar. Dies ist Weißfeuer, das Schwert des Sonnengottes selbst. Ich schwor, es nicht mehr in die Scheide zu stecken, ehe ich diese Sterblichenhalle zerstört hätte, wo unser mächtiger Ahn, mein Vater Krummling, fiel.« Sie sah in die Runde. Selbst Vansen hatte Mühe, in diese Augen zu blicken, die die Welt schon schauten, seit das alte Hierosol jung gewesen war.
    Dann umfasste Yasammez den Griff des weißen Schwerts und erhob es. Ängstliches Flüstern schlug in erschrockenes Aufschreien um, ehe sie die Klinge in die Scheide schob, was klang wie das Vorlegen eines Türriegels.
    »Heute nehme ich mein Wort zurück. Ich verstoße gegen meinen Schwur. Das
Buch des Feuers in der Leere
wird einen Weg finden, mein Schuldensoll auszugleichen, darauf vertraue ich.« Yasammez senkte den

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