Das Herz
Selbst, um sie gefangen zu halten — und seither existiert diese Narbe, jahrtausendelang in der Erde verborgen, von Primitiven verehrt wie ein lebendiges Wesen.« Er beugte sich zu Vash, als wollte er ihm ein Geheimnis verraten. »Aber jetzt ist Habbili endlich seinen Wunden erlegen. Die Priester und Propheten haben es gespürt. Sie haben es mir gesagt! Habbilis Kraft wird diese Wunde der Welt nicht länger geschlossen halten. Jeder, der die Macht oder das Wissen hat, kann durch die große Leere hinausgreifen ... oder
hinein.«
Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, sodass Vash jetzt zu ihm hinaufstarren musste wie jemand, der ein nahendes Gewitter beobachtet. »Also her mit den Kindern! Ihr Blut wird das Tor öffnen, und dann nehmt euch in Acht, ihr Götter! Sulepis wird selbst den Unsterblichen gebieten!«
Barrick war gerade erst auf dem steinigen Höhlenboden gelandet, als er Yasammez, in einen weiten schwarzen Umhang gehüllt, ganz in der Nähe stehen und zu der fernen, dunklen Gestalt des Leuchtenden Mannes hinüberblicken sah. Sie war ausnahmsweise allein. Sie hatte die Augen halb geschlossen und wirkte so ruhig und entrückt wie eine in der Sonne dösende Katze. Ihr Haar hatte sich während des Abstiegs aus den kunstvollen Knoten gelöst und hing ihr wie Dornenzweige um den Kopf.
Die Herrin der Tränen,
flüsterten die Stimmen in ihm mit einer Art abergläubischer Ehrfurcht.
Die Geißel. Die Einsame von Wanderwind.
Barrick trat auf sie zu, fiel aber weder auf die Knie, noch verbeugte er sich. »Fürstin, werdet Ihr nicht an unserer Seite kämpfen? Dies ist der letzte Tag, die letzte Stunde — der Augenblick, da wir die letzte Seite des
Buchs des Trauer
schreiben.«
Ihre Augen wandten sich ihm langsam zu. »Diese Seite wurde schon vor langer Zeit geschrieben, ehe deinesgleichen überhaupt die Welt betraten.«
Er fühlte den Hieb, ließ sich aber nicht provozieren. »Aber ich gehöre jetzt auch zu Euresgleichen, Fürstin Yasammez, ob es mir und Euch nun passt oder nicht ... und Ihr seid unsere größte Kriegerin. Wenn Ihr jetzt nicht für uns kämpft, wann wollt Ihr dann das Schlachtfeld betreten? Wenn der Rest des Volkes tot ist?« Kurz ärgerte ihn der schockierte Aufschrei seiner Feuerblumengeister, ihre Entrüstung über seine Respektlosigkeit. »Ist das Eure Art von Selbstmord, Fürstin? Zu warten, bis niemand mehr da ist, der Euch fallen sehen könnte, um der Schmach der Niederlage zu entgehen?«
»Der Schmach der Niederlage?« In kaltem Zorn warf sie ihren Umhang zurück, enthüllte ihre schwarze Rüstung und Weißfeuers blanke Klinge, auf die sie sich stützte wie auf einen Stock; das Funkeln traf seine Augen wie ein Blitzstrahl. »Menschenkind, ich
bin
die fleischgewordene Niederlage unseres Volkes. Ich lebe mit dem Wissen um meinen Tod, seit deinesgleichen noch im Wald rohe Knochen abnagten. Ich werde diesen Tag nicht überleben, und ich weiß es, aber ich lasse mich von einem wie dir nicht verhören. Verschwinde, du Kind gestohlenen Blutes, und mach mit dem letzten Rest deines Lebens, was du willst.«
Der dunkle Umhang und die schwarzen Stacheln ihrer Rüstung umrahmten ihr bleiches, grimmiges Gesicht wie Sturmwolken den Mond. Kurz sah Barrick in ihren bodenlosen Augen Dinge, die er noch nie gesehen hatte, oder vielleicht träumte er sie auch nur in diesem seltsamen Moment an diesem seltsamen Ort, aber zu seiner Verblüffung fühlte er eine Träne über sein Lid quellen und seine Wange hinabrinnen.
»Wenn ich Euch unrecht getan habe, Fürstin, bitte ich um Verzeihung.« Er verbeugte sich und ging.
Saqri wartete schon auf ihn; ihr Haar war dem Diadem entschlüpft und wehte in den seltsamen Winden dieses tiefen Ortes wie schwarze Spinnfäden. »Der Träger der Feuerblume ist hier«, sagte sie, und die Qar um sie herum rührten sich und wandten den Blick von ihren Feinden drüben auf der Insel. »Jetzt ist unsere Streitmacht vollzählig.« Sie schaute von Barrick hinüber zu Yasammez, die immer noch am Fuß der Felswand stand. »Hat sie dich eines Wortes gewürdigt?«
»Ja. Mehrerer.« Er setzte seinen Helm auf. »Führt uns an, Saqri. Ich brauche Blutgeruch in der Luft. Das wird mich vom Denken abhalten.«
Zu seiner Überraschung lachte sie. »Es geht los!«, rief sie den umstehenden Qar zu, die mit Speeren und Schwertern an ihre Schilde schlugen oder den Kopf zurückwarfen und die Höhlendecke und den irgendwo darüber verborgenen Mond anheulten; der Mond war in ihrem Blut wie die
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