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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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mein ...!«
    Kettelsmits Blick huschte hilflos zwischen der elfenbeinweißen Kehle des Kindes und Hendon Tollys rotem, glubschäugigem Gesicht hin und her; der Protektor war jetzt so besessen von seinen eigenen Worten wie irgendein redenschwingender Irrer. Ein paar Schritte weiter war Elan M'Cory lautlos in Ohnmacht gefallen, aber die verbliebenen Wachen hielten sie immer noch fest, selbst vor Angst ganz grau im Gesicht.
    »Jetzt!«, kreischte Tolly. »Jetzt erhebe das Messer, Wicht, während ich die abschließenden Worte spreche! Dann vergieße das Blut und lass es über den Spiegel fließen!«
    Matty Kettelsmits Arm hob sich, als wäre er nicht mehr mit seinem Körper verbunden, und schwebte über dem unruhigen Kind. Die Flammen der Fackeln wurden erst in die eine Richtung gesogen, dann in die andere. Schatten zuckten über die Wände. Das Scharren und Rascheln um ihn herum wurde zu lautem Rufen und Stampfen — erstanden die Toten alle gleichzeitig auf? Würden die Lebenden an diesem Tag allesamt ins Dunkel hinabgezogen werden?
    Er konnte seinen Arm nicht dazu bringen, sich zu bewegen. Er wusste, Tolly würde ihn töten, wenn er es nicht schaffte, aber er konnte dem Kind einfach nichts tun.
Bitte, all ihr guten Götter, helft mir ...!
    Etwas traf Kettelsmit mit solcher Wucht, dass er zuerst dachte, Hendon Tolly hätte ihm eins mit dem schweren Zauberbuch verpasst. Er taumelte einen Schritt zurück; das Messer entglitt seinen schlagartig kraftlosen Fingern und fiel klirrend auf die Steinfliesen.
    Kettelsmit starrte entsetzt auf den Pfeil, der in seiner Brust zitterte, so nah vor seinem Gesicht, dass ihm nur das befiederte Ende sagte, was ihn da getroffen hatte. Er fühlte warmes Blut seine Vorderseite hinabrinnen und seine modrigen Kleider tränken. Dann drehte sich alles, und Matty Kettelsmits Welt wurde schwarz.

37

Das Blut eines Gottes
    »... Als er endlich, mit all den Tieren des Feldes und den Vögeln der Luft in seinem Gefolge, Tessideme erreichte, waren auch die Eichenblätter fortgesengt, sodass der weinende Waisenknabe die Flamme der Sonne in seinen bloßen Händen trug ...«
    Der Waisenknabe, sein Leben und Sterben und himmlischer Lohn — ein Buch für Kinder
    Grünhäher, der Anführer der Trickster, kletterte weniger geschmeidig als sonst aus der Tür im Steinboden. Wut funkelte in seinen Augen. »Hundert Schritte weiter unten ist die Treppe voller Südländersoldaten. Die List hat sich der Autarch von den Drags abgeschaut — wir werden uns jeden Zoll des Abstiegs mit Blut erkaufen müssen. So kriegen wir ihn nicht — der Wind fresse seinen Namen und seine Spuren!«
    »Er lässt uns keine andere Wahl«, sagte Saqri zu Barrick. »Komm, Menschenkind — die Seile müssten jetzt so weit sein. Sie werden unser Abstiegsweg sein. Beeil dich!«
    Barrick folgte Saqri zurück durchs Labyrinth, dessen Gänge immer noch mit Gesteinstrümmern und Leichen von Menschen und Funderlingen übersät waren. Saqris Krieger hatten Seile vorbereitet, damit sich die Qar schnell auf den Höhlenboden und zum Meer der Tiefe hinablassen konnten; die, die zu schwer oder schlicht nicht fürs Klettern gemacht waren, würden die schmalen Pfade an der steilen Felswand nehmen.
    Aesi'uah erwartete sie, in der Hand ein Bündel Seilenden wie einen Strauß silbriger Haselkätzchen. »Die meisten Südländer sind schon aus dem Gang hervorgekommen und auf der Insel«, berichtete sie.
    Barrick, dessen Sehvermögen nicht so gut war wie Saqris, spähte mit zusammengekniffenen Augen hinab, um die dunklen Gestalten auf der Insel inmitten des silbrigen Meers auszumachen. Hinter ihnen erhob sich dräuend die gewaltige Silhouette des Leuchtenden Mannes.
    »Ein paar Xixier bauen Boote«, sagte Saqri. »Sie haben alles, was sie dafür brauchen, mitgebracht.« Sie runzelte die Stirn; es war seltsam, auch nur einen so winzigen Gefühlsausdruck auf ihrem glatten Gesicht zu sehen. »Wir haben ihn unterschätzt — selbst Yasammez. Dieser Sulepis kennt das Terrain so gut, als hätte er es selbst ausgekundschaftet.«
    »Aber warum Boote?«, fragte Barrick. »Er und seine Soldaten sind doch schon auf der Insel.«
    »Weil er weiß, dass wir ihn, da seine Männer die Gänge hinter ihm halten, nur von dieser Seite des Meers der Tiefe angreifen können. Er will Soldaten hinüberschicken, um sich uns vom Leib zu halten.« Saqri machte die Gebärde
Ungewollte Blindheit.
»Wir können keine Zeit mehr aufs Reden verschwenden. Greif dir ein Seil, Barrick Eddon!

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