Das Herz
Niederlage und Tod.
Die letzten aller Stunden vielleicht,
dachte er.
Für uns alle. Aber ich will wenigstens meine Pflicht tun und den Herrn des Höchsten Punkts stolz auf mich machen.
Er schraubte sich der saubereren Luft entgegen und sah nicht, wie sich das schwarze Etwas von dem Gesteinsvorsprung löste, auf dem es sinnend und geduldig gewartet hatte. Die große graue Eule segelte lautlos im Kreis, bis Giebelgaup und die Flattermaus weit über ihr waren. Dann schlug sie mit den Flügeln und folgte ihnen, ein orangerot glimmendes Augenpaar im Beinahe-Dunkel.
Für diesen einen Augenblick nur begegneten sich ihre Blicke, ehe das dunkeläugige, dunkelhaarige Mädchen Barricks Namen rief, sich wie von einem Krampf versteifte und umfiel. Der Feuerblumenchor in seinem Kopf verstummte. Er hörte nur noch eine Stimme — ihre.
Barrick ...!
Wortlos jetzt, immer ferner, wie von einem heftigen Wind davongerissen.
Barrick, es ist ... das Feuer ...
Und dann war da in der neuen Stille in ihm noch eine andere Stimme, seine eigene, wie ein vergessener Gefangener in einem tiefen Verlies.
Qinnitan ...
Einen Herzschlag lang fühlte er, was sie fühlte — ihre schreckliche Angst vor dem Ende, den verzweifelten Funken Mut. Und diesen einen Herzschlag lang fühlte er, wie das Eis in ihm schmolz, die harte Schicht, die ihn von seinem eigenen Herzen getrennt hatte. Er war wieder frei, von allem entblößt, selbst von der Feuerblume, aber es war eine Freiheit, die sich wie schreckliche Schwäche anfühlte.
Nein. Nicht jetzt. Ich kann nicht wieder dieses unnütze Etwas werden ...
Barrick zwang sich, den pochenden Kopf zu heben.
Stark. Stark ...!
Qinnitan lag nur ein Stückchen weiter, bewusstlos, vielleicht sogar tot. Blut rann ihr aus der Nase; ein Tropfen hing an ihrer Wange, im Begriff, auf die rohen Holzbohlen zu fallen. Einen seltsamen Augenblick lang konnte er den Blick nicht von diesem Blutstropfen losreißen, sah ihn im Geist immer weiter anschwellen, zu einer riesigen, leuchtendroten Kugel, einer
Welt
aus Blut, in die man eintauchen konnte, um sich in lebendigem Scharlachrot aufzulösen ...
Nein.
Er schloss die Augen. Das war menschliches Blut, wie das dünne Zeug in seinen eigenen Adern, das ihn zu schwächen versucht hatte. Er musste jetzt ein Qar sein.
Barrick versuchte, aufzustehen, aber seine Arme und Beine waren zu schwach. Die Feuerblumenstimmen quittierten seine Hilflosigkeit mit bestürztem Gemurmel.
So haben mich die Träumer verändert,
begriff er.
Sie haben den alten, schwachen Barrick genommen und tief in mir begraben. Damit ich nach Qul-na-Qar gelangen konnte. Damit ich mit der Feuerblume leben konnte. Sie haben ihn genommen und weggesperrt und mein Herz mit einer Wand umgeben, damit es stark bleibt.
Und inmitten der Schrecken um ihn herum — der übelriechenden, dicken Luft, der Gesänge der Priester und selbst der dumpfen Präsenz jenes riesigen, schrecklichen Etwas, das hinter alldem lauerte — fühlte Barrick die giftige Gabe der Träumer zurückfluten, um ihn zu schützen, ihn gegen sein eigenes Menschsein zu feien.
Sie brauchen mich — das Volk braucht mich.
Er bekam die Knie unter sich und tat sein Bestes, sich hochzustemmen, aber seine zerschundenen und blutenden Beine waren so wacklig wie die eines neugeborenen Fohlens. Ein halbes Dutzend xixischer Soldaten stürzten sich auf ihn und wollten ihn wieder auf die Bohlen drücken, doch der Autarch wandte den Kopf und hob die Hand.
»Zurück, Leoparden. Ich mache nicht den Fehler, dich ein zweites Mal zu unterschätzen, Sohn Olins. Deine Pariki-Freunde haben dir offensichtlich ein paar von ihren Zauberkräften abgegeben.
Mokori!«
Eine mächtige Hand packte Barrick am Schlafittchen, sodass ihm das Kettenhemd die Luft abschnürte, und hievte ihn hoch. Im nächsten Moment legte sich ein goldener Draht, so dünn wie der Faden einer Seidenraupe, um seinen Hals, und er wurde rückwärts an einen der gewaltigsten Körper gezogen, die ihm je begegnet waren. Der Autarch lachte und hob abermals die Hand.
»Nicht töten, Mokori! Olins Sohn wird Publikum spielen. Ich vermute, er ist einer der wenigen, die verstehen können, was hier geschieht.« Der Autarch trat einen Schritt zurück, um den Blick auf Barricks Vater freizugeben, der zuckend am Boden saß, als wäre er von einem tödlichen Fieber befallen.
»Seht, Olin — wenn Ihr noch Olin seid«, rief der Autarch triumphierend. »Einer Eurer Söhne ist hier, um zuzuschauen, wie Ihr den Gastgeber für
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