Das Herz
Funderlinge sichtete, die sich am Rand des Kampfgeschehens einen Moment ausruhten. Er landete Mockel in ihrer Mitte. Ein, zwei von ihnen fuhren verdutzt zurück, aber der Rest der blutverschmierten, verdreckten kleinen Männer blickte kaum auf.
»Hab eine eilge Botschaft für Zinnober?«, rief Giebelgaup, so laut er konnte, in der Hoffnung, dass sie es hören und ihn und sein Reittier nicht einfach totschlagen würden. Seiner Flattermaus gefiel es gar nicht, von diesen riesenhaften Gestalten umringt zu sein, und er hatte alle Mühe, sie am Boden zu halten; er hörte sie protestieren: ein schrilles, wütendes Piepsen am Rand seines Gehörs. Doch die erschöpften Funderlinge starrten ihn nur an.
»Zinnober den Magister such ich!«, schrie er. »Der Herr des Höchsten Punkts blas euch die Ohren durch, hört mich denn keiner? Zinnober! Ich bin Giebelgaup der Bogenschütz und bring Nachricht von Chert Blauquarz!«
Einer der Funderlinge zeigte auf die Felswand am Rand der großen Höhle. »Der Magister ist dort bei seinem Jungen«, sagte er. »Er ist der in der Rüstung. Sucht da drüben.«
»Ich dank Euch, guter Mann!« Giebelgaup legte kurz die Hand an die Hutkrempe und hieb Mockel die Fersen in die Rippen. Sie schwangen sich in die Luft. Eine kurze Orientierungsrunde, dann lenkte er die Flattermaus auf den Fuß der Felswand zu.
Zinnober saß, an einen großen Stein gelehnt, inmitten eines Dutzends verwundeter Kameraden. Neben ihm lag ein noch kleinerer Funderling, bleich und totenstill. Giebelgaup landete direkt vor Zinnober, aber der betrachtete weiter das leblose Kind.
Giebelgaup stellte sich in den Steigbügeln auf und winkte.
»Hört mich! Ich komme von Chert Blauquarz! Seid Ihr Zinnober der Magister?«
Der verwundete Funderling nickte, ohne aufzublicken. »Der bin ich ... für ein kurzes Weilchen noch. Dann werden die Alten der Erde entscheiden.« Er streckte die Hand aus und berührte das erschlaffte Gesicht des Jungen. »Sie haben meinen Sohn getötet. Meinen geliebten Kalomel ...!«
Giebelgaup schüttelte den Kopf »Der Herr erheb ihn zu sich. Ich versichre Euch meines Beileids, Magister, und bitt um Verzeihung, aber mein Auftrag kann nicht warten.«
Zinnober sah desinteressiert auf »Was wiegt jetzt noch irgendein Auftrag? Seht Ihr denn nicht, dass alles verloren ist?«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.« Giebelgaup zwang die Flattermaus vorwärts, und widerstrebend kroch Mockel auf Zinnober zu. »Aber ich hab's geschworen. Drum hört. Chert lässt Euch sagen, Bruder Nickel hat alles unterbunden — er, Chert, kann nimmer weitermachen mit dem Plan.«
Zinnober sah ihn einen Moment an; seine Augen in dem müden Gesicht waren stumpf »Es war ohnehin töricht, darauf zu setzen. Habt Ihr wirklich den weiten Weg gemacht, nur um mir zu sagen, dass die Sache gescheitert ist?«
»Nein!« Giebelgaup spürte den Zeitdruck jetzt körperlich. »Chert braucht den
Astion,
sagt er. Schickt ihm den Astion, dann besteht vielleicht doch noch Hoffnung.«
»Ah. Hoffnung.« Zinnobers Mund zuckte — der müde Schatten eines Lächelns. »Den Astion, hm? Bis zum bitteren Ende — Zunftgesetz
ist
Zunftgesetz.« Er griff an seinen Gürtel, zog einen Lederbeutel hervor und schüttete den Inhalt auf den Höhlenboden. Giebelgaup wartete ungeduldig, hörte den Kampfeslärm und die Schreie sterbender Männer durch die mächtige Kaverne hallen. Der Funderling ergriff ein glänzendes Rund aus schwarzem Stein mit einem eingravierten sechszackigen Stern und reichte es Giebelgaup. »Könnt Ihr ihn tragen?«
»Wenn Ihr mir selbgen in den Rucksack stecken könnt«, sagte der Dachling, »vermag ich's.«
»Dann nehmt ihn mit ... aber es wird nichts ändern«, sagte Zinnober. »Wir sind zu wenige, die Südländer sind zu viele, und wir und die Qar haben zu viel Kraft gegeneinander verausgabt. Jetzt sind wir alle tot.«
Doch Giebelgaup hörte ihn schon nicht mehr: Er und sein Reittier schwangen sich bereits dem weiten Kamin und den oberen Ebenen der Mysterien entgegen.
Es war keine Zeit mehr, den Astion Chert droben an der Oberfläche zu geben. Giebelgaup der Bogenschütz wusste, er musste durch den großen Kamin direkt nach Funderlingsstadt fliegen und hoffen, dass es ihm mit Hilfe von Cherts Kartenskizze gelang, Bruder Antimon zu finden, und dass Bruder Antimon selbst in der Lage war, das, was getan werden musste, zu tun. Doch Giebelgaups Herz war schwer. Was er in der großen Kaverne unter der Erde gesehen hatte, stank nach
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