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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Xergal spielt, den Gott des Todes und der Unterwelt.«
    Sobald Barrick sich bewegte, zog sich der Draht um seinen Hals zusammen. In seinem zerschundenen Zustand hatte er keine Chance, sich loszureißen — zumal Mokori ohnehin fast so groß und so gewaltig war wie Hammerfuß der Ettin —, aber der Anblick seines leidenden Vaters drang selbst durch den Abtötungszauber der Träumer und trieb ihn, gegen die Schlinge anzukämpfen.
    »Vater?«, rief er. »Vater, hörst du mich?« Doch Olin schien ihn nicht zu sehen, geschweige denn zu erkennen. Jetzt fühlte Barrick die gierige Freude des beobachtenden unsichtbaren Etwas. Es nährte sich irgendwie von Elend — von Täuschung und Beschämung. So hatte es sich all die Jahrhunderte in den Traumlanden am Leben erhalten — am Leben vielleicht, aber nicht bei Verstand.
    Plötzlich krümmte sich Olin, fiel aufs Gesicht und zuckte mit den Beinen wie ein Gehängter. Der Laut, der aus seiner Kehle kam, war so verzweifelt und entsetzlich, dass Barrick heiße Tränen in die Augen schossen. Bei allem Groll und allen Panzerschichten um sein Herz — in diesem Moment hätte Barrick sein Leben gegeben, um seinen Vater aus dieser Qual zu erretten.
    »Mitternacht ist da!«, rief der Autarch. »Er kommt — der Gott kommt! Er bezieht das Gefäß!«
    »Dieses Gefäß ist ein Mensch, du Ausgeburt der Hölle!«, schrie Barrick. »Es ist ein König!«
    »Komm zu mir, großer Gott — Xergal oder Kernios, oder wie immer du genannt zu werden wünschst!«, rief der Autarch, jetzt lauter als all die Priester zusammen. »Komm zu mir, Erdherr — Trennender — Graue Eule — Alterslose Tanne! Ich rufe dich: Durchquere die Leere! Ich habe dir hier eine Heimstatt bereitet!« Die Arme des Autarchen öffneten sich weit, als empfinge er eine Geliebte. »Bezieh sie und sei für immer mein Diener — mein Sklave!«
    Und da hörte König Olins gepeinigtes Stöhnen jäh auf. Barricks Vater rollte auf den Rücken, als hätte man ihn herumgeworfen, und seine Gliedmaßen spreizten sich steif ab. Einen Moment schien sich sein ganzer Körper zu beulen und zu verziehen, eine Wellenbewegung lief vom Kopf zu den Extremitäten, als hätte man etwas Heißes in seine Hauthülle gefüllt.
    Barrick hörte einen verzweifelten Aufschrei und merkte, dass es sein eigener war.
Ich habe euch alle im Stich gelassen,
dachte er, gebeutelt vom anschwellenden Chaos der Feuerblumenstimmen.
Ich habe versagt.
    Wieder schrie jemand, diesmal einer der Xixier, andere Stimmen kamen hinzu, Soldaten und selbst Priester, alle voller Furcht. Olins Körper richtete sich auf wie eine an ihren Schnüren emporgezogene Marionette, bis er aufrecht und reglos dastand. Auf der ganzen Plattform und auf dem Boden ringsum taumelten Xixier erschrocken zurück; manche machten das Zeichen des Nushash, die Finger gespreizt wie Sonnenstrahlen, andere weinten vor Angst, überwältigt von all dem Erschreckenden, das an diesem seltsamen Ort so fern der Heimat geschah. Olin stand jetzt ganz still da, wie eine kleinere Kopie des Leuchtenden Mannes, der immer noch in der Mitte der Insel auf sie alle herabdräute.
    »Sprich mit mir, Diener«, sagte der Autarch. »Bist du wirklich der Gott der dunklen Erde?« Das Etwas hatte, wie Barrick sah, nicht mehr viel von Olin.
    Das dünne Ende des Keils,
flüsterten die eingeschüchterten Stimmen in ihm.
Der Riss in allem. Der letzte ...!
    Das Etwas wandte den Kopf langsam dem Autarchen zu, und Barrick sah erschrocken, wie sich die Augen seines Vaters verändert hatten: Was auch immer aus ihnen hervorblickte, starrte durch ein wimmelndes Geflecht von feurigen Linien, das den gesamten Raum zwischen den Lidern füllte und einen Glutschein auf Stirn und Wangen des Königs warf ... aber es sagte noch immer nichts.
    »Ich sagte, wer bist du?« Die Stimme des Autarchen hatte jetzt etwas Schrilles.
    »Ich bin der Gebieter der Eule«,
sagte das Etwas mit einer so wohltönenden Stimme, dass Barrick einen Moment fast schon froh war, diesen ganzen Horror durchlebt zu haben, nur um sie hören zu dürfen. Doch noch während die Worte verklangen, fühlte er den Unterton grenzenloser Grausamkeit, und es würgte ihn.
»Ich bin der Herr des Knotens und der Hüter der Tanne. Ich bin der Krähenvater«
    Sulepis klatschte in die Hände wie ein entzücktes Kind. »Der Gott des Todes — und er ist mein Sklave! Du bist doch mein Sklave, Herr der Tiefen?«
    »Ich bin der Diener dessen, der mich rief, solange er mich in dieser Welt

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