Das Herz
umdrehte, konnte er es erstmals richtig sehen. Es war eine graue Teufelseule, ein riesiger Vogel mit Augen wie Lampen.
Teufelseulen waren Jäger der nächtlichen Lüfte — dass sie sich so tief unter die Erde verirrten, hatte er noch nie gehört, aber er konnte jetzt nicht darüber nachdenken. Der lautlose Räuber war direkt hinter ihm, folgte geschickt jedem Schlenker, den Mockel flog, und fiel nie mehr als ein kleines Stück zurück. Giebelgaup fühlte die Anstrengung der Flattermaus, während die Eule nahezu mühelos dahinzugleiten schien. Dreimal war sie jetzt schon über Giebelgaups Kopf gewesen, bereit zum Zuschlagen, nur Mockels Wegrollmanöver im letzten Moment hatten ihn gerettet. Und der Ort, den ihm Chert genannt hatte, war noch so weit weg — er hatte noch nicht mal den halben Weg geschafft. Eulen konnten in völligem Dunkel jagen, wenn sie das Terrain kannten, und mit ihren lautlosen Schwingen und ihrem feinen Gehör brauchten sie auch in einer fremden Umgebung kaum Licht. Die spitzen Krallen würden zupacken, und dann würde dieser mächtige, krumme Schnabel ihn und die Flattermaus zerreißen.
Es war mit Abstand das beängstigendste Unternehmen seines abenteuerreichen Lebens. Er drückte sich dicht an Rücken und Hals der Flattermaus, um dem Wind weniger Angriffsfläche zu bieten und geschützter zu sein, während sie in rasendem Tempo durch die engeren Passagen dieser steinigen Tiefen kurvten, doch die Eule ließ sich nicht abschütteln: Sie war stark und verfolgte ihn mit einer Hartnäckigkeit, wie er sie von diesen großen Vögeln nicht kannte. Es war, als trüge sie selbst einen Giebelgaup auf dem Rücken, der sie beständig antrieb. Zweimal schon hatte er versucht, sich an Stellen zu verstecken, wo die Eule nicht hinkam, aber beide Male hatte sie so geduldig gewartet, dass er schließlich wieder hinausgeschossen und weitergeflogen war — er hatte einfach keine Zeit.
Sooft er sich traute, schwang sich Giebelgaup in den weiten Kamin hinaus, der ihn in die Tiefen und wieder herausgeführt hatte, und stieg schnell empor, um kostbare Höhe zu gewinnen, ehe ihn das Monster einholte und wieder in die engeren Nebengänge zurücktrieb. Nur so konnte er auch die richtige Richtung halten; bei diesem Wahnsinnstempo versagten selbst seine hervorragenden Instinkte in den Winkeln und Biegungen der kleineren Gänge, und sich zu verirren fürchtete er fast so sehr, wie gepackt und gefressen zu werden.
Aber spielte es überhaupt noch eine Rolle? Hatte der Funderlingsratsherr nicht erklärt, dass ohnehin nichts mehr zu machen war?
»Jetzt sind wir alle tot«,
hatte Zinnober gesagt.
Alle? Wer war damit gemeint?, fragte sich Giebelgaup, während er sich an die pelzige Flattermaus klammerte. Auch die Dachlinge? War das hier das Ende seines Volkes — konnte er gar nichts mehr bewirken?
Höchster, ist es wirklich dein Wille, dass dein braves und getreues ...
Ein Schwirren unterbrach sein Gebet — gerade eben hörbar. Giebelgaup sah sich nicht um — er kannte das Geräusch einer Eulenschwinge in nächster Nähe. Er riss am Zügel, und sie kippten genau in dem Moment ab, als die gespreizten Klauen über sie hinwegsausten — eine Spornkralle ritzte Mockels Flügel, und die kleine Kreatur schrie vor Schmerz und Schreck.
Lässt sich nicht abhängen, selbge,
dachte er.
Und verstecken hilft auch nichts. Nur eine Frage der Zeit, dass sie uns packt, und dann heim ins Nest mit dem Nachtmahl!
Giebelgaup langte hinter sich, um den Griff seines Schwerts zu finden, aber das war schwer, während sie zwischen den Stalaktiten hindurchkurvten, die von der Decke dieser langen, schmalen Höhle hingen und das Einzige waren, was die Teufelseule verlangsamen konnte. Endlich ertastete er die Schwertscheide, die ihm von dem Geschüttel des Flugs fast bis ins Kreuz gerutscht war, und dann den Griff; auf dem nächsten halbwegs geraden Stück holte er tief Luft und zog Königin Sanasus Nähnadel.
Noch nie hab ich ein königliches Schwert gezogen,
dachte er traurig.
Nun ja, immerhin kommt's noch mal
zum
Einsatz, eh alles vorbei ist ...
Er schwenkte in den ersten Hohlraum ein, der nicht sofort wieder zu enden schien, froh, dass er eine Flattermaus ritt, die an solchen Orten jedem anderen Tier weit überlegen war. Er bemühte sich, dicht unter der Decke des Gangs, der eigentlich nur ein breiterer Spalt war, zu bleiben, aber das ging nicht immer. Als die Flattermaus abtauchte, um einer Serie herabhängender Steinvorhänge auszuweichen,
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