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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Es ist das letzte Stück des Leuchtenden Mannes, und es ist vor langer Zeit abgebrochen, als Krummling den Weg mit seiner eigenen Essenz versiegelte. Ignorante Menschen haben einen Fetisch daraus gemacht, eine Statue ...«
    »Tötet ihn!«, schrie der Autarch plötzlich. »Bogenschützen! Erschießt diese Kreatur!«
    Ehe Barrick Atem holen, geschweige denn sich loszureißen versuchen konnte, schwirrte eine Wolke von Pfeilen auf Chaven zu, aber die Geschosse prasselten zu Boden, ohne dass ihn auch nur ein einziges streifte. Der Autarch stieß ein Wutgebrüll aus und ließ die Bogenschützen eine zweite Salve Pfeile abschießen, doch auch von diesen schien keiner Chaven finden zu können.
    »Du kannst ihn nicht treffen!«
Das Gesicht des besessenen Königs wirkte aufgequollen, als ob etwas durch die Haut hervordrängte. Es hatte nichts Menschliches mehr. Etwas Ähnliches hatte Barrick einmal gesehen, als ein Ertrunkener aus der Ostlagune gezogen wurde, so grotesk aufgebläht, dass er nicht mehr als menschlicher Leichnam kenntlich
war. »Ich habe das Auge deiner Schützen getäuscht!«
    »Es
tut mir leid, Vater«, flüsterte Barrick. »Es tut mir so leid.«
    Obwohl ihn keiner der Pfeile berührt hatte, schien Chaven jetzt erstmals wahrzunehmen, was um ihn herum war. Er verlangsamte seinen ohnehin schon schleppenden Schritt, blieb dann ganz stehen und drehte sich zur Plattform des Autarchen um.
    »Wo ...?« Er blickte langsam hin und her, schien aber nicht zu erkennen, was er sah. »Warum bin ich hier?«
    »Du bist, wo du sein sollst, braver und getreuer Diener«,
sagte der Gott in Olins Haut.
»Bring den Gottstein
zum
Leuchtenden Mann. Vereine beide, damit die Tür nach all den Jahrhunderten wieder vollständig ist.«
    »Aber ... warum tut es so weh? Du hast mir doch Glückseligkeit versprochen ...!«
    »Die soll dir auch zuteilwerden. Vervollständige nur zuerst die Tür.«
    Barrick verstand nicht, was da vor sich ging, aber er wusste, dass der Arzt auf irgendeine Art als hilfloses Werkzeug missbraucht wurde und dass keins der beiden Ungeheuer hier auf der Plattform, weder das sterbliche noch das unsterbliche, triumphieren durfte. »Halt!« Er zog und zerrte, bis die Schlinge des Würgers tief in seinen Hals schnitt. »Chaven, nicht! Er legt Euch herein ...!«
    Etwas Hartes traf ihn mit Wucht — der Gewehrkolben eines Leoparden —, und Barricks Beine gaben nach, sodass er zu Boden gegangen wäre, hätte ihn die Schlinge nicht gehalten. Ein Rotschleier senkte sich vor seine Augen. Der Hofarzt drehte sich wieder um, als hätte er ihn gar nicht gehört, und ging weiter auf den Leuchtenden Mann zu, der jetzt glomm und pulste.
    »Schnell!«, schrie der Autarch. »Haltet ihn auf!«
    Soldaten stürmten die Treppe der Plattform hinab, um Chaven zu ergreifen, doch sobald ihre Füße den Stein berührten, wankten und taumelten sie wie Betrunkene und irrten dann blind umher.
    »Ihr Verstand ist zerstört«,
trumpfte der Gott in Olins Körper auf.
»Sie werden meinen Diener niemals finden. Und wenn der Gottstein erst einmal mit dem Rest des Leuchtenden Mannes wiedervereint ist, wirst du sehen, was du wirklich getan hast, kleiner Sterblichenkönig!«
Wieder ließ er dieses schrecklich-melodische Lachen los.
»Eingebildete Sterbliche — wisst ihr überhaupt, was der Leuchtende Mann ist? Er ist kein Gott, sondern der Schatten des letzten Augenblicks eines Gottes auf dieser Erde. Er ist der Abdruck des Moments, da der tödlich verwundete Krummling seine eigene Essenz benutzte, um die Tür zwischen dieser Welt und den Welten jenseits der Leere zu schließen. Doch jetzt ist Krummling tot, und sobald der Leuchtende Mann wieder vollständig ist, wird auch die Essenz, die er zurückließ, verschwinden!«
    »Warum tust du mir das an?«, schrie Sulepis. Der Autarch sprang dem Gott an die Gurgel, zog aber die Hände sofort mit einem Schmerzensschrei wieder weg und schüttelte sie, als hätte er sich verbrannt. »Biest! Lügner! Warum widersetzt du dich mir?«
    »Weil du ein anmaßender Narr bist!«
Der Geist in Olin lachte wieder.
»Du hast jahrelang geplant — ich habe mich hundertmal länger vorbereitet! Du wolltest mich in einen Körper einsperren, hieltest es aber nicht mal für nötig, dir den Gottstein zu beschaffen, und ohne ihn hast du keine Macht über mich!«
Farben liefen jetzt durch den Leuchtenden Mann, milchige Blautöne und dunkelglühendes Violett und selbst kleine rote Blitze wie Wetterleuchten direkt unter der

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