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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sagte, wusste er plötzlich nicht, was es bedeutete — war es der Name einer Sterblichen oder der eines Bastard-Abkömmlings des Qar-Königsgeschlechtes? Sprach ihn ein Mann aus, den Liebe trieb, oder ein Mann, in dem solche Weichheit und Schwäche nicht mehr existierten? »Komm mit mir, Qinnitan.«
    Sie rührte sich immer noch nicht, und als sie sprach, war es, als wiederholte sie ein Wort, das sie nicht verstand. »Barrick?«
    Er streckte langsam die Hand aus und sah ein wenig von dem violetten Licht an seinen Fingerspitzen. Sie beugte sich weg, ging aber nicht tiefer ins Wasser. Als er sie berührte, erschauerte sie leicht, ließ sich aber ans grasbewachsene Ufer ziehen.
    Sobald ihre Füße den Erdboden berühren, darfst du sie nicht mehr ansehen.
Der Feuerblumenchor war wieder da, als wäre er aus einem kurzen Schlaf erwacht.
    Es ist der Fluch des Waisenknaben. Die Götter lieben ihre Tricks, und träumende Götter sind die launischsten ...
    Halte sie an der Hand, aber mach die Augen nicht auf.
    Wir singen dir den Weg.
    Ein Teil von Barrick befürchtete, dass es nur wirrer Unsinn war — manchmal schienen die Feuerblumenstimmen eher irrlichternde Ideen als echte Intelligenzen, flüchtige Phantome ohne die Kohärenz einer lebenden Person. Aber er wusste, allein konnte er Qinnitan nicht retten — sie war dem Tod zu nahe. Er machte die Augen fest zu, ergriff ihre Hand und ließ sich von den Stimmen führen.
    Während sie sich vom Fluss entfernten, gab es Momente, in denen sie so körperlos wirkte, dass er sich nicht einmal mehr sicher war, sie noch festzuhalten, aber er wusste, er durfte nicht hinschauen — dann wäre auch die winzige Chance, die sie hatten, vertan.
    Beachte die anderen Stimmen nicht,
sagte die Feuerblume.
    Auch nicht die, die freundlich klingen. Geh immer vom Fluss weg. Vertrau auf das, was du fühlst.
    Er öffnete sich dem Dunkel und der Bewegung der Luft — der feuchten Luft vom trägen, aber mächtigen schwarzen Fluss her. Er bemühte sich, sie immer im Rücken zu haben.
    »Qinnitan? Ich bin hier. Kannst du mich hören?«
    Sie antwortete nicht, also sprach er weiter auf sie ein. Endlich hörte er — von viel weiter weg, als eigentlich möglich war, da er doch ihre Hand fest umfasst hielt — ihre Stimme sagen: »Wer ruft da? Ich habe Angst.«
    Worte hatten wenig Sinn — nur ihre Hand in seiner war real; er wusste, solange er diese Hand hielt, war sie noch da.
    Es war, als gingen sie jahrelang durch die dunklen Lande. Manchmal hörte und sah er Dinge, die zu besagen schienen, dass sie schon fast hinausgefunden hatten, aber die Feuerblumenstimmen warnten ihn, diesen Phantomen ja nicht zu trauen, es seien nur Fallen, die ihm die einsamen, verbitterten Wesen dieser Gefilde zu stellen versuchten. Schließlich wurde Qinnitan unruhig und begann sich ihm zu widersetzen. Er kämpfte mit ihr, stundenlang, wie es schien, versuchte sie zu beruhigen, schaffte es aber nicht. Überwältigt von ihrer Angst und Pein, gestand er sich schließlich ein, dass er sie nicht länger gegen ihren Willen mit sich ziehen konnte.
    Die Feuerblumenstimmen beschworen ihn, nicht aufzugeben, weiterzukämpfen.
    »Nein.« Er sagte es ebenso zu den Stimmen wie zu ihr. »Ich will dich nicht länger zwingen. Warum fürchtest du dich, Qinnitan? Ich will dir helfen, zurück ans Licht zu gelangen. Warum wehrst du dich gegen mich?«
    Aber sie konnte ihn nicht hören, oder wenn doch, verstand sie ihn nicht und zog und zerrte erst recht wie ein verängstigtes Kind. Barrick fürchtete, wenn er sie gegen ihren Willen weiterschleppte, könnte er sie verlieren — ja das bisschen, das noch von ihr übrig war, vernichten.
    Ihm fiel nichts anderes ein, also ließ er schließlich, obwohl es ihm furchtbare Angst machte, ihre Hand los.
    »Ich gehe jetzt weiter«, erklärte er ihr. »Folge mir, wenn du kannst — wenn du willst —, und ich führe dich hier hinaus.«
    Und während die Feuerblumenstimmen vor Entsetzen so laut wurden, dass ihm der Schädel dröhnte, ging Barrick wieder los.
    Die Stimmen verstummten nach und nach, doch mehr aus Verwunderung als aus Verzweiflung, und Barricks Angst ließ ein wenig nach. Offenbar folgte ihm Qinnitan.
    Jetzt kam der schwerste Teil. Er zwängte sich durch Astgewirr, das nach ihm griff und krallte, und durchwatete Bäche, so kalt und schwarz wie der Fluss, in dem er Qinnitan gefunden hatte. Er stieg einen langen, gefährlich steilen Abhang hinab und sah unten im Tal Lichter funkeln, doch als er dort

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