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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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warten konnte. Die Kräfte der Qar-Königin schwanden jetzt rasch. Er schob alle Gedanken an die Gabe der Schläfer beiseite, kniete sich an Saqris Bett und nahm ihre Hand. Perle des Sonnenuntergangs und die anderen Heilerinnen traten zurück und gaben sich alle Mühe, so zu tun, als missbilligten sie sein sonderbares Vorhaben nicht.
    Genug jetzt davon,
sagte er.
Es ist Zeit, dass ich mich auf die Reise mache, über die wir gesprochen haben. Dass wir retten, was zu retten ist ... wenn Ihr mich lasst.
    Er fühlte schwache Belustigung von ihrer Seite.
Warum sollte ich dich nicht lassen, teures Menschenkind ...?
    Zwei bleiche Krieger vom Stamm der Erbarmungslosen trugen Qinnitans Strohbett in die Felskammer und plazierten es neben Saqris Lager. Das dunkelhaarige Mädchen wirkte jetzt noch kleiner, als ob es mit jeder Stunde weiter zusammenschrumpfte, wie etwas, das langsam von innen her verbrennt. Ihre Haut war so kalt, als wäre ihr Geist bereits entwichen.
    Lasst uns allein,
befahl er.
    Keine Fragen, keine Widerrede — die Qar gingen augenblicklich hinaus. In der Höhlenkammer waren jetzt nur noch Barrick, die beiden reglosen Frauen und die flackernden Kerzen.
    Er dachte über das nach, was ihn Saqri in Qul-na-Qar gelehrt hatte und was auch Ynnir gesagt hatte:
»Die Feuerblume ist mehr als nur das Wissen derer, die vor uns waren. Sie ist die Landkarte ihrer Reisen, das Buch ihrer Rituale. Aber du kannst sie nicht einfach benutzen wie eine staubige Schriftrolle, die du in einer vergessenen Nische gefunden hast. Du musst sie zu einem Teil deiner selbst machen.«
    Barrick ließ sich in das Dunkel in seinem Inneren hinabsinken; lange Zeit driftete er einfach nur in dieser Leere. Als er sich bereit fühlte, dachte er an Krummling, der einen Weg gefunden hatte, durch so viele verschiedene Arten von Dunkel zu reisen, und dachte dann an sich selbst und an das Blut, das ihn mit Krummling verband, und sei es noch so entfernt.
    Ich bin ein Urgroßkind Sanasus,
verkündete er.
Ich reise, wohin ich will in den jenseitigen Landen, den Traumlanden der schlafenden Götter. Mein Blut ist mein Geleitbrief.
Aber im Dunkel würde es etliche geben, die solche Rituale nicht respektierten.
    Ein schwaches Licht glomm auf und begann, der Leere erkennbare Form zu verleihen — ein
Hier
und ein
Dort,
ein
Oben
und ein
Unten.
Das Licht war sein eigenes, der Schein der Feuerblume auf seiner Stirn. Seine Füße berührten Grasboden, wenn er auch wenig von dem sehen konnte, was unter ihm war — zwei Füße, nein
vier,
sein Gewicht ruhte auf harten Hufen und starken Beinen. So wie Ynnir hier in den Traumlanden die Gestalt eines Hirsches trug und Saqri die eines Schwans, fand sich Barrick in der Gestalt eines Pferds — eines hellen Hengsts. Überwältigt von den neuen Empfindungen begann er zu traben, dann zu galoppieren.
    Wo bin ich?,
fragte er sich.
Sind das Krummlings Straßen durch die Leere, oder ist es das Land der Träume, wo die Götter noch immer leben? Das Land der Toten? Oder ein ganz anderer Ort?
    Barrick Eddon verstand nicht genug vom Erbe der Feuerblume, um Antworten zu wissen, aber er wusste, dass er tat, was er tun musste. Er schob seine Ängste weg und lief weiter, von Schatten zu Schatten, durch so dichtes Dickicht von Dunkel, dass er glaubte, sich nie daraus befreien zu können, und hinaus in Momente gleißenden Lichts, das ihn blendete und verwirrte. Auch andere Schatten streiften durch diese Gefilde — solche wie er vielleicht oder ältere, seltsamere Wesen —, aber er wagte nicht, sie anzusprechen. Es war hier zu leicht, sich zu verirren, vom Weg abzukommen, und selbst wenn ihm die, die jetzt um ihn herumhuschten, nichts Böses wollten, gab es hier doch auch andere, die sich von Einsamkeit und Leiden nährten — er hörte sie wispern, während sie ihm folgten, hörte sie wie das Rascheln von Ratten hinter Holzwänden:
Barrick Eddon, du schuldest dem Volk nichts. Wir werden dir die Kraft geben, alles zu tun, was du begehrst. Das Mädchen von den Toten aufzuerwecken. Jede Kreatur, die dir begegnet, deinem Willen zu beugen. Der größte König zu werden, der je auf Erden wandelte! Alles wird dein sein . . Du musst nur auf uns warten! Lass uns zu dir kommen!
    Er hoffte, dass das Licht der Feuerblume ausreichen würde, sie auf Abstand zu halten.
    Barrick wurde müde, aber die Schatten schienen noch immer endlos. Er hatte vieles gesehen, was er nicht verstand — Durchgänge, die nirgendwohin führten, stöhnende Schemen wie

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