Das Herz
sehen, so reglos, so sehr wie das Gesicht einer Toten. »Ich habe sie so nah herbeigebracht, wie ich konnte. Könnt Ihr sie finden?«
Saqris Augen waren halb offen — ein gefangenes Geschöpf, das seine letzten, verzweifelten Atemzüge tat.
Ich ... sehe ... nichts ... außer dem hier ...
»Dann helfe ich Euch.« Er ignorierte seine abgrundtiefe Müdigkeit und beugte sich hinüber. Er nahm Saqris trockene, kalte Hand und legte sie auf Qinnitans Stirn. Eine winzige Kontraktion der Muskeln um Saqris Augen war das einzige Zeichen, das sie noch lebte. Endlich kam ihre Stimme, ein Flüstern, ein entmutigtes Seufzen ...
Ich kann sie nicht finden ...
Barrick legte seine Hand auf die der Qar-Königin, schloss dann die Augen und ließ sich in das Dunkel fallen, dem er gerade erst entronnen war. Die Feuerblumenstimmen schrien entsetzt auf:
Zu schwach, Menschenkind! Du bist zu schwach ...
Du wirst auch sterben. Du, Saqri und das Mädchen. Alles dahin ... Du darfst es nicht riskieren!
Aber Barrick konnte nicht anders. Ohne Qinnitan würde er ein hässliches Ding werden — ein kalter, wütender Schatten seiner selbst, ein lebender Geist. Lieber jetzt gehen, wenn er sie nicht retten konnte, ins Feuer springen und ein schnelles Ende finden.
Barrick Eddon fiel und fiel. Er spürte Saqri neben sich, ein weißes, geflügeltes Wesen, das neben ihm hinabtauchte, als fiele es nach einer langen Reise aus den Wolken. Die dunklen Lande stiegen ihnen entgegen und sausten dann unter ihnen dahin, als sie darüber hinwegglitten: viele Morgen schweigenden Waldes und silbriger Wiesen, durchzogen von glänzendschwarzen Bächen. Er führte sie, so gut er konnte, aber es war nicht leicht — jetzt, da sie wieder frei war und ihren siechen, sterblichen Körper hinter sich gelassen hatte, wollte Saqri sich in die Lüfte schwingen.
Erst als er erkannte, dass sie das Tal wieder erreicht hatten, fiel Barrick ein, dass er ja Qinnitan nicht ansehen durfte, dass wie beim Waisenknaben sein Blick den Zauber bräche und die schwarzen Lande Qinnitan für immer behalten würden. Er machte die Augen fest zu oder träumte, dass er es tat, aber jetzt musste er blind ein Land absuchen, das viel größer war als jedes irdische. Wie sollte er sie finden? Er versuchte sie zu fühlen, weil er sich sagte, in dieser kalten Welt müsse sie doch das Einzige sein, das warm war, das Einzige, das lebte und liebte ...
Ich bin hier.
Die Stimme war so leise wie eine Grille inmitten eines Gewitters.
Ich warte ...
Er wandte sich der Stimme zu, ließ das Dunkel sich formen, wie es wollte. Er konnte nur folgen. Er konnte nur vertrauen.
Als er sie fand, küsste er sie mit festgeschlossenen, tränenheißen Augen. »Saqri!«, rief er. »Sie ist hier! Qinnitan ... das Mädchen, das auch Krummlings Blut in sich hat!«
Das mächtige Wesen rauschte vom Himmel herab wie ein weißer Sturm; Schwingen peitschten.
»Hat er dich gefragt, weibliches Menschenkind? Hat er dich gewarnt, was es heißt, die Feuerblume zu bekommen?«, fragte Saqri mit einer Stimme wie ernste Musik. »Willst du diese schreckliche Bürde auf dich nehmen?«
»Ja.« In diesem Moment schien Qinnitan alles zu wissen, was sie wissen musste. »Ich will.«
»Sie kann trotzdem nicht zurückkehren, Barrick Eddon, auch nicht mit der Feuerblume«, warnte ihn Saqri. »In deiner Welt wird sie immer noch schlafen, so wie ich einst. Sie wird vielleicht nie erwachen.«
»Ich werde eine Möglichkeit finden, sie aufzuwecken.« Er streckte die Hand aus, um seine Qinnitan zu finden. Er fühlte das Wabern und Leuchten der Feuerblume rings um sie herum, als ob Saqri kaltes Feuer ausatmete. »Und wenn es mein ganzes Leben dauert, ich werde es tun. Hörst du mich? Ich werde dich aufwecken.«
Qinnitan führte seine Hand an ihre Lippen. »Ich warte nicht darauf, dass mich ein Mann rettet — auch nicht du, Liebster. Ich werde eine Möglichkeit finden, mich selbst aufzuwecken.«
Saqri lachte. »Gut gesprochen, Kind — vielleicht bist du ja doch eine würdige Erbin. Nimm die Feuerblume, Qinnitan, Tochter des Cheshret und der Tusiya. Du und Barrick, ihr werdet alles in euch tragen, was vom alten, leidvollen Vermächtnis meiner Familie übrig ist. Möge das Buch eine neue Zukunft für unsere beiden Arten verzeichnen.«
Und dann war es getan, und Saqri war nicht mehr.
Barrick erwachte langsam, so schwach und zerschunden, als wäre er verprügelt worden. Um ihn herum waren die Qar mit Traueraktivitäten beschäftigt: Sie sangen,
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